Niederlande

29. Juli 2018 – 9. August 2018:

Bei der Grenzüberschreitung war es bereits später Nachmittag und wir entschieden uns nach dem Einkauf ein Nachtlager zu suchen. Es stellte sich heraus, dass die anhand der Karte ausgewählte grüne Fläche zugewachsen und dornig war. Wir entschieden uns für das angrenzende lauschige Plätzchen neben anscheinend wenig befahrenen Bahngleisen. Wir bauten unsere Zelte auf und genossen unser grosszügiges Abendessen. Nach einiger Zeit realisierten wir, dass die Bahnstrecke doch recht gut genutzt wird; jede halbe Stunde fuhr ein Zug vorbei. Einige Lockführer und Passagiere schenkten uns ein Lachen oder winkten uns sogar zu.

Plötzlich fuhr eine S-Bahn aus dem nahe gelegenen Bahnhof heraus und hielt auf unserer Höhe an. Der Zugführer machte das Fenster auf und sprach uns auf Englisch an. Er sagte uns, dass er es liebe draussen in wilder Natur zu campen, doch sein Kollege schätze dies gar nicht. Der Kollege sei vorhin mit der S-Bahn vorbeigefahren und habe bereits andere Lokführer über unser Wildcampern informiert. Wenn er uns wiedersähe und wir nicht weg wären, so würde er die Polizei verständigen. Der nette Zugführer wies uns darauf hin, dass wir 20 Minuten Zeit hätten, bis der intolerante Lokführer vorbeifahren würde und wir uns mit dem Wegräumen beeilen sollen. Die Fahrgäste sammelten sich mittlerweile an den Fenstern und schauten uns neugierig an.

In der Gruppe überlegten wir uns, was nun die beste Lösung sei. Wir entschieden uns den Weg durch das Dickicht zu nehmen und auf dem Damm über dem nahegelegenen Teich zu schlafen. In Windeseile transportierten wir unser Hab und Gut an den neuen Standort. Plötzlich erblickten wir den Zug am Horizont und ab dem Moment galt es das letzte Material noch schneller zu verschieben. Auf die Sekunde verschwanden wir im Wald und der Zug rollte langsam vorbei. Wieder einigermassen beruhigt, bemerkte Adrian, dass unserem Tun einige Fischer zuschauten und sich etwas wunderten. Adrian erkundete sich ob unsere Abwesenheit stört und da dies nicht der Fall war, legten wir uns bei Froschgeräuschen aufs Ohr.

Am nächsten Morgen packten wir unsere Zelte und unser Material zügig ein, da uns die Mücken beim Frühstück in Arme und Beine stachen. Am Bahnhof von Bad Neuschanz trafen wir Lilo und Peter für die gemeinsame Weiterfahrt. Zusammen überquerten wir schöne Wasserkanäle und weite landwirtschaftliche Nutzflächen. Auf dem Rad durchquerten wir die Studentenstadt Groningen und assen in der Innenstadt verschiedene asiatische Leckereien. Mehrere Male warteten wir bei Zug- und Drehbrücken auf die passierenden Schiffe und konnten den Passagieren auf den Schiffen zuwinken. In Buitenpost verabschiedeten wir Fabians Eltern und erledigten unseren täglichen Einkauf. Nach dem Verlassen des Dorfes fragten wir bei einem Haus, ob wir unsere Zelte in der Nähe irgendwo aufstellen können, da es in den Niederlanden generell verboten ist wild zu campen und die negative Erfahrung vom Vortag noch präsent war. Nach kurzem Gespräch konnten wir unsere Zelte auf einer Wiese aufstellen und durften sogar in einem dort stehenden Caravan duschen und den Strom abzapfen.

Mit neuer Energie und guter Laune fuhren wir entlang der grosszügigen Fahrradwege neben der Hauptstrasse. Schon bald realisierten wir, dass wir nach über einem Monat wieder einmal unsere Regenklamotten aus den Taschen graben mussten. Am Horizont erschien eine Wand schwarzer Wolken und wir fuhren direkt darauf los. Wenig später spürten wir die ersten Regentropfen auf unseren nackten Armen und Beinen. Im letzten Moment konnten wir uns unter einem Hausdach retten, bevor der Platzregen startete. Kurz darauf war das Gewitter weitergezogen, die Sonne zeigte sich wieder und wir fuhren weiter durch wunderschöne Städtchen, durchzogen mit Kanälen und den darauf treibenden Booten.

Vor dem Abschlussdeich (Afsluitdijk), erlaubte uns ein Kiosk Besitzer nach langer Diskussion nicht unsere Flaschen mit Leitungswasser aufzufüllen und erhitzte kurz unsere Gemüter. Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, nahmen wir den extrem langen Deich in Angriff. Der Abschlussdeich, der aufgrund von Landgewinn und Küstenschutz 1932 errichtet wurde, ist dreissig Kilometer lang und gestaltete sich eher eintönig und nicht besonders schön. Der Fahrradweg führt neben der Autobahn entlang und nur drei Mal kann man auf die Anhöhe des Dammes fahren und den Blick über das Meer schweifen lassen. Als wir endlich wieder Festland erreichten, waren wir froh. In einem der seltenen Wälder in den Niederlanden fanden wir ein schönes Nachtlager.

Nachdem wir am vorherigen Tag ewig lange dem Damm folgten, startete der heutige Tag mit einer unendlich lang scheinenden Strasse entlang einem Deich, landwirtschaftlichen Nutzflächen, Bauernhöfen und alten Mühlen. Somit war unsere Begeisterung nicht gerade gross, obwohl wir vor der riesigen Arbeit die hinter diesem Meisterwerk steckt Respekt zollen. In Purmerend machten wir unsere Mittagspause und trafen Reinoud, einen Freund von Adrian, der uns aus Amsterdam entgegenradelte. Netterweise zeigt uns der Einheimische den schnellsten und schönsten Weg in die Stadt. Am Stadtrand fanden wir somit schnell einen gut gelegenen Campingplatz und liessen uns dort nieder. Die vielen Zelte und jungen Leute liessen bei uns ein Festivalgefühl aufkommen, denn es war der erste Campingplatz auf unsere Reise der vermehrt auch junge Leute aufwies. Man merkte den Unterschied zu einem von mehrheitlich Rentnern besuchten Campingplatz schnell und wir waren uns nicht mehr so sicher was wir bevorzugten. Die meist sehr jungen Gäste, ob Männlein oder Weiblein, dröhnten sich bis zum unkontrollierbaren Lachanfall mit dem potentesten Marihuana der Stadt zu und liefen zum Teil wie im Schlafwandler durch die Gegend. Wie wir bereits wussten gehört dies mittlerweile zur Hauptstadt der Holländer.

Wie schon in Kopenhagen und Hamburg schlossen wir uns einer Stadtführung an. Bei dieser haben wir erfahren, dass die Stadt Amsterdam auf tausenden von Pfählen aufgebaut und diese bis zu 18 Meter tief in den schlickigen Boden gerammt wurden. Bei einer Kanaltour genossen wir die Abendstimmung und den Sonnenuntergang über Amsterdam einmal aus einer anderen Perspektive. Besonders gefallen hat uns das schmälste Haus von Amsterdam, welches nur eine Haustür breit ist. Früher bezahlten die Hauseigentümer gemäss der Hausbreite ihre Steuern, darum wurden die Häuserfronten möglichst schmal gebaut. Die Häuser mit den «Aufzughacken» und die Hausboote faszinierten uns sehr. Die Hacken werden gebraucht um beim Umzug die Möbel in die schmalen Wohnungen zu manövrieren. Im Rotlichtbezirk, genannt De Wallen, liessen wir den Abend ausklingen und waren erstaunt über den grossen Andrang. Die Strassen waren proppenvoll und man konnte kaum einen Fuss vor den anderen bewegen, ohne auf den völlig verdreckten Boden zu schauen.

Um unser Budget zu schonen und auch in den Niederlanden einmal bei Einheimischen zu übernachten, zogen wir für die restlichen Tage in Amsterdam in die Wohnung von Reinoud. Unsere Anwesenheit für die anstehende Gay Pride war zwar nicht geplant, aber trotzdem freuten wir uns riesig diese Party mitzuerleben. Das zweitgrösste Volksfest des Jahres zieht schon seit einigen Jahren über eine halbe Million Leute nach Amsterdam. So machten wir uns am Tag darauf Richtung Innenstadt und genossen die aufgeschlossene und friedliche Stimmung während die Boote gefüllt mit tanzenden Leuten und dröhnender Musik an uns vorbeizogen.

Nach der Erholung und der Verabschiedung von Reinoud und seinen Mitbewohnern, verliessen wir Amsterdam in Richtung Den Haag. Auf dem Weg nach Den Haag durchquerten wir Leiden, den Geburtsort des weltbekannten Künstlers Rembrandt. In Den Haag, wo sich der Parlaments- und Regierungssitz der Niederlande und des Königreichs der Niederlande befindet, besichtigten wir einige Sehenswürdigkeiten per Fahrrad. Besonders gefiel uns der Sitz des niederländischen Parlaments, der Sitz des internationalen Gerichtshofs und der Haagse Markt. Dieser kunterbunte Markt ist der grösste ständige Wochenmarkt der Niederlande, wenn nicht sogar Europas. Auf den letzten 20km bis zum angesteuerten Campingplatz in Rotterdam durchquerten wir Delft, eine der ältesten niederländischen Städte. Heute ist Delft eine renommierte Universitätsstadt und birgt zahlreiche Sehenswürdigkeiten in der Altstadt.

Gemeinsam mit Fabians Eltern unternahmen wir eine Hafenrundfahrt. Das Schiff führte uns durch den grössten europäischen Hafen und gab uns einen Eindruck über die immense Grösse des Umschlagplatzes. Die zweitgrösste Stadt der Niederlande wurde im 2. Weltkrieg fast komplett zerstört. Darum ist das Stadtbild durch viele hohe, neue Gebäude geprägt, welches der Stadt ein spannendes architektonisches Flair verleiht. Trotzdem konnte uns Rotterdam nicht überzeugen wie andere Grossstädte zuvor auf dieser Reise. Am Nachmittag erkundeten wir das einzige Viertel, welches nicht durch den Bombenhagel der Alliierten zerstört wurde und somit noch den ursprünglichen Charakter von Rotterdam vermittelte.

Zum letzten Mal in Begleitung von Fabians Eltern fuhren wir durch den Maastunnel, der unter einem Hauptarm des Rhein-Maas-Deltas durchführt. Die Fahrradwege in den Niederlanden sind extrem gut ausgebaut, was sehr eindrücklich ist. Besonders faszinierten uns die Unterführungen speziell für Radfahrer unter Bahnhöfen und Flüssen.

Ein paar wenige Meter vor der belgischen Grenze fragten wir einen Bauern, ob wir auf seinem Feld übernachten dürfen. Dieser willigte sofort ein und zeigte uns ein Plätzchen. Am nächsten Morgen zeigte uns der Landwirt voller Stolz seinen Stall mit den Kühen, das neugeborene Kalb von der vergangenen Nacht und die automatische Melkanlage. Nach weniger als einem Kilometer überquerten wir bereits die Grenze nach Belgien, welche einmal mehr nicht unspektakulärer hätte sein können. Unsere kurze Zeit in den Niederlanden fokussierte sich vor allem auf Städte, da wir Besuch hatten und Amsterdam eine unserer Lieblingsstädte in Europa ist. Ausserdem wussten wir, das die Niederlande nicht viele Naturspektakel zu bieten hat.

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