21. Mai 2019 – 19. Juli 2019:
Der erste Befehl der Uniformierten war, dass wir unsere Hände mit kaltem Wasser aus einem Behälter waschen. Ohne Seife versteht sich! Somit komplett keimfrei durften wir wieder an vier verschiedenen Orten vorbei, um unseren Einreisestempel zu erhalten. Das Verhalten der Verantwortlichen, ihre Uniform und die Flagge Liberias erinnert stark an die USA.
Mehrere starke Regengüsse warteten wir in verschiedenen Unterständen ab, um danach bei schwachem Regen weiterzufahren. Schnell bemerkten wir, dass die Liberianer generell eher zurückhaltender waren, als die Leute in den letzten Wochen im Nachbarland. Eine Familie gab uns ein wenig zögernd einen Raum in ihrem bescheidenen Haus, damit wir wenigstens in der Nacht dem starken Regen nicht ausgesetzt waren.
Die Landschaft hat sich nicht gross verändert seit der Grenze, ausser dass es vermehrt grössere Palmölplantagen hatte. Aufgrund einer Fehlüberlegung waren wir nicht mehr weit entfernt von der Hauptstadt und hatten somit unserem Couchsurfing Gastgeber Emmanuel noch nicht Bescheid gegeben. Zum Glück nahm er unsere Nachricht, dass wir früher ankommen, mit afrikanischer Gelassenheit und meinte es sei kein Problem.
Emmanuel und sein Lehrerkollege liefen mit uns zum Haus und beide probierten mehr oder weniger erfolgreich mit unseren beladenen Fahrrädern zu fahren. Die Nichte Emmanuels kochte sogleich für uns und wir wurden innerhalb weniger Minuten von allen Bewohnern des Hauses ins Herz geschlossen.
Zwei Chinesinnen kamen nach uns an und wir lernten die beiden am Morgen danach kennen. Bereits seit acht Monaten sind die beiden, die sich zufällig während der Reise kennengelernt hatten, unterwegs. Ausgestattet mit Primarschulenglisch und nichtexistenten Französischkenntnissen kamen sie erstaunlicherweise gut zurecht.
Trotz nicht übertrieben langen Tagen waren wir beide extrem müde und schliefen die nächsten Tage viel, bis wir uns wieder fit fühlten. Leider haben die meisten Männer in Afrika keinen fixen Job und lungern darum ganze Tage vor dem Haus und diskutieren über was alles möglich wäre mit Geld oder einem Ticket nach Europa. In Europa herrscht das Denken, dass Afrikaner per se faul wären, was wir nun nach bereits sechs Monaten definitiv verneinen können. Emmanuel zum Beispiel arbeitet an drei verschiedenen Schulen als Lehrer und besucht gleichzeitig noch Vorlesungen, um seinen Masterabschluss zu bekommen. Kürzlich haben sie ihm ohne Vorwarnung den Lohn nicht mehr ausbezahlt. Trotzdem arbeitet er weiter, da er nicht will, dass die Kinder eine schlechte Schulbildung erhalten.
Von Anfang an meinte er, dass er seinen Gästen ausgewogene Kost anbietet, aber momentan reiche sein Geld nicht dafür aus. Natürlich wollten wir sowieso für unser Essen selber aufkommen. Ausserdem sind wir uns gewohnt ab und zu drei Mal täglich Reis ohne Fleisch zu essen.
Nach einigen Tagen verabschiedeten wir uns von Emmanuel und seiner Familie und nahmen die über 20 km in das Stadtzentrum in Angriff. Die Fahrt ins Zentrum der mit knapp einer Million Einwohner grössten Stadt des Landes war kein Zuckerschlecken. Die gelb bemalten «kekeh» (Dreiradtaxi auch bekannt als «tuk-tuk») düsten hupend ans uns vorbei und gleichzeitig mussten wir auf die vielen Leute und die Löcher im Belag Ausschau halten.
Bevor Tom uns empfing, assen wir in einer der vielen Garküchen eines der lokalen Reisgerichte. Tom, ein Belgier der in der Hauptstadt der einzige Warmshowers Gastgeber ist, wohnt direkt hinter einer schmuddeligen, mit spärlichen Bauten geprägten Siedlung in der Nähe des Strandes. Im Gegensatz ist sein Wohnkomplex mit einem Schwimmbecken, Sicherheitsleuten und einer riesigen Mauer ausgestattet. Während unseres Aufenthalts genossen wir die Ruhe, unser Bett, die warme Dusche und die Möglichkeit unsere Kleider zu waschen. Bei der aktuellen Luftfeuchtigkeit von über 90% trocknet fast nichts mehr und man muss aufpassen, dass nicht die gesamte Ausrüstung schimmelt.
Das Ducor Hotel galt bei seiner Eröffnung im Jahre 1967 als eines der vornehmsten Hotels Westafrikas. Das Hotel wurde seinerzeit vom Lybischen Staatsmann Gaddafi gebaut. Das Hotel musste kurz vor der Entfachung des Bürgerkriegs geschlossen werden und wird seither nicht mehr benutzt. Als wir auf einem kleinen Pfad das Gelände auf dem höchsten Punkt der Stadt betreten wollten, pfiffen uns zwei Sicherheitsleute zurück und wollten Geld für die Besichtigung. Wir waren amüsiert, dass es überhaupt Sicherheitsleute für ein so heruntergekommenes Gebäude gibt und man auch noch Geld dafür bezahlen soll. Später erfuhren wir von älteren Stadtbewohnern, dass die Sicherheitsleute verantwortlich wären, dass niemand Eisen aus dem Hotelkomplex stehle. Ausserdem haben die Amerikaner aus strategischen Gründen (die amerikanische Botschaft ist direkt unterhalb des Hügels) alle Renovations- bzw. Verkaufsversuche mit jährlichen Investitionen an die Regierung verhindert.
Schlussendlich schlichen wir auf einem Umweg von hinten an das Gebäude und mussten extrem vorsichtig sein nicht auf die vielen gebrauchten Windeln und Scheisshaufen zu stehen. Die Umgebung des Hotels wird als Quartierklo und für die Entsorgung von Abfall missbraucht. Zum Glück konnten wir uns bis aufs Dach schleichen, ohne dass uns jemand sah. Diese adrenalinaussschüttende Aktion wird uns sicher noch einige Zeit in Erinnerung bleiben.
Vom Hotel hatten wir einen wunderbaren Blick auf die Stadt und den Stadtteil West Point, welcher von ungefähr 75’000 Leuten bewohnt wird und dadurch völlig überbevölkert ist. Das grösste Problem ist, dass alle diese Leute ihr Geschäft am einst wunderschönen Strand verrichten, da es angeblich gerade mal 4! öffentliche Toiletten für alle diese Leute gibt. Ausserdem versuchen sich die Bewohner mit Prostitution und Drogenverkauf über Wasser zu halten, welches das mit allen möglichen Krankheiten geplagte Armenviertel zusätzlich belastet.
Selbst im Stadtzentrum sieht man Leute überall urinieren, da es leider keine andere Möglichkeit gibt. Bei einem starken Regenfall, wie sie in der Regenzeit häufig sind, überfluten ganze Quartiere, da der viele herumliegende Abfall alle Abflüsse verstopft. Während einem Wiedertreffen mit Nico, der erfreulicherweise nach der Malariaerkrankung wieder gesund war, sassen wir aufgrund des starken Regens und der gefluteten Strassen in einem Restaurant für einige Stunden fest.
Direkt nach der Ankunft bei Emmanuel bekam Fabian wieder Fieber und der Malaria Schnelltest deutete auf eine erneute Infektion hin. Bereits nach 24 Stunden fühlte er sich besser. Allerdings zeigte ein erneuter Test ein paar Tage später, dass die Infektion noch nicht ganz weg war und darum wurde eine erneute Dosis Antimalaria Medikamente zusammen mit Multivitamintabletten empfohlen. Da wir seit über einem halben Jahr bereits das wahrscheinlich nicht immer saubere afrikanische «Hahnenwasser» trinken, entschieden wir uns ein Entwurmungsmittel zu kaufen, damit alle potenziellen Faden- und Bandwürmer in unseren Körpern verenden.
Glücklicherweise im Trockenen verliessen wir Monrovia und somit unsere Luxusunterkunft. Bald erreichten wir den einzigen (und winzigen) internationalen Flughafen des Landes. Kurz darauf fuhren wir durch die Firestone Plantage. Diese Plantage wurde im Jahre 1926 gegründet und war damals die grösste Kautschukplantage der Welt. Die für die Reifenherstellung bekannte amerikanische Firma Firestone kaufte damals 4047 Millionen m2 Land für lächerliche 0.000015 USD pro m2. Dies erzeugt Arbeitsplätze für 20’000 Liberianer (10% der Arbeiter des Landes). Liberia wurde darum als Firestone Republik bezeichnet. Leider kam die Produktion während des Krieges zum Stehen und ist darum heute auf einem niedrigeren Produktionsniveau.
Es war definitiv eindrücklich durch die unendlich scheinenden Kautschukwälder zu fahren. Nur schade musste eine riesige Waldfläche für die Entstehung abgeholzt werden. Ein paar fleissige Arbeiter zeigten uns wie das gewonnene Kautschuk mit verdünnter Schwefelsäure versetzt wird, um es für den Transport zu verfestigen.
Am Abend zuvor wurden wir herzlich in einem Dorf empfangen. Der Dorfchef organisierte schnell eine Übernachtungsmöglichkeit und wir wurden wie üblich von allen Seiten angestarrt während des Einrichtens unseres Nachtlagers.
Unser Frühstück wurde von zwei Frauen frisch zubereitet, was so viel heisst wie Feuer machen, Zutaten organisieren und kochen. Noch gestern haben wir Frauen beim Dreschen des Reises beobachtet. Dabei wird in einem grossen Mörser von zwei oder drei Frauen mit grossen Holzstäben auf die Reiskörner geschlagen. Danach wird die Hülse vom Reiskorn mit einem feinmaschigen, tellerähnlichen Sieb separiert.
Traditionell haben Liberianer nur gegessen, wenn die Mahlzeit Reis enthält. Viele Leute auf dem Land essen nur eine Mahlzeit am Nachmittag als Pause von der harten Feldarbeit. Der Grund dafür ist Gewohnheit und zu wenig finanzielle Mittel für drei Mahlzeiten.
Die vor einigen Jahren von den Chinesen gebaute Strasse führte uns in hügligere und noch dünner besiedelte Gegenden. An gewissen Orten trafen wir Jugendliche, die in ihrem ganzen Leben noch nie einen Weissen vor sich hatten.
Bei einer Strassenkreuzung hielten wir, um etwas zu essen und wurden wie allzu oft von überall mit Fragen bombardiert. Natürlich finden wir das sehr interessant unsere Geschichte zu erzählen und freuen uns über das rege Interesse in Liberia. Manchmal möchten wir verständlicherweise einfach etwas in Ruhe essen und neue Kräfte sammeln. Das Interesse in Liberia ist dermassen gross aufgrund des verschwindend kleinen Anteils an Touristen und dem Traum nach Amerika auszuwandern.
Ausgerechnet bei dieser Pause verschlimmerten sich Adrians Kopfschmerzen, die er seit dem Losfahren hatte und Gliederschmerzen setzten ein. Von dieser Kreuzung fuhren wir noch eine Stunde und konnten im Büro eines netten Verkehrspolizisten übernachten. Die Fahrräder wurden direkt in die Zelle neben dem einzigen Gefangenen sicher deponiert.
Da sich Adrian am Morgen noch nicht besser fühlte, besuchten wir eine Apotheke und machten einen Malariatest. Dieser Test war eindeutig positiv und für insgesamt 4 USD konnte der Test und die nötigen Medikamente bezahlt werden. Die Medikamente muss man drei Tage in spezifischen Zeitabständen zu sich nehmen und hoffen, dass man sich danach besser fühlt. Oder wie die Liberianer sagen würden: Wenn Gott es will!
Liberia ist bisher das erste Land auf dem Afrikanischen Kontinent, welches wir durchfahren, mit einer Mehrheit an Christen. Wir haben schon Dutzende verschiedene Kirchengruppierungen und Sekten im Land gesehen. Somit merken wir auch zum ersten Mal wenn es Sonntag ist, nämlich anhand der Dorfatmosphäre. Ausserdem finden wir kaum etwas zu essen, da bis auf wenige Ausnahmen alle Garküchen geschlossen sind.
Für unsere alltägliche Eimerdusche in einem alten, verlassenen und völlig überwucherten Gebäude ohne Dach, holten wir jeweils Wasser vom nahegelegenen Pumpbrunnen. Während des Abfüllens, beobachteten wir einmal, wie vier übergewichtige, laut lachende Frauen mittleren Alters mit der Seifenherstellung beschäftigt waren. Die weisse Masse, aus der die Seifenballen geformt werden, besteht aus gekochtem Palmöl und einer starken Lauge. Nach dem Trocknen und abkühlen sind die Seifenballen steinhart und können zum Reinigen genutzt werden. Währendem sie uns den Prozess erklärten, sammelten sich etliche Kinder um uns. Dabei waren sogar Knaben die sich aus Spass ihr halbes Gesicht mit Lippenstift geschminkt hatten und wir fingen an, die Kinder abzulichten.
In den drei Tagen in Palala City besuchten wir alle möglichen Restaurants mit verschieden stark gerosteten Wellblechdächern, wenn sie überhaupt eins hatten. Viele Dorfbewohner kannten uns bereits und es fühlte sich sehr angenehm an. Eine nette, freundliche Köchin besuchten wir mehrmals und sie war immer wieder erstaunt, wieso wir die gekochten Schweineknie nicht assen und nur den Reis mit der Fleischsosse bevorzugten.
Nach drei Tagen mit teilweise starkem Fieber, fühlte sich Adrian bereits wieder fit genug, um weiterzufahren. Wir gaben dem zuvorkommenden Verkehrspolizisten, übrigens der einzige Polizist mit Uniform den wir in dieser ganzen Zeit zu Gesicht bekommen hatten, sein Büro zurück. Das Büro hatte er, wahrscheinlich aus Respekt, kein einziges Mal betreten während unserer Anwesenheit. Wahrscheinlich hätte er in diesem Durcheinander von DVDs, Autoteilen, Kleidungsstücken, Pflanzenöl und ein paar Zetteln sowieso nichts gefunden. Wir bedankten uns herzlich für die überaus grosse Gastfreundschaft und fuhren endlich weiter.
In Ganta hörte die Asphaltstrasse auf und das liberianische Pistenabenteuer startete, obwohl uns die Polizisten versichert hatten, es wären noch die nächsten 100 km asphaltiert. Also kämpften wir uns durch die verwaschene und schlammige Strasse. Schon bald klang das Fahrrad lauter als die hupenden Motorräder und wir waren von oben bis unten voll mit braun-orangem Schlamm. Vor allem Fabian, der von einem vorbeifahrenden Auto angespritzt wurde.
Das Gästehaus einer Kautschukplantage war luxuriöser als die meisten Unterkünfte, die wir in Dörfer bisher erhielten. Am Abend gab es ausnahmsweise Elektrizität, wir konnte uns in einem geschlossenen Raum waschen und wurden der Frau vom Sicherheitsbeauftragen lecker bekocht.
Der Strassenzustand wurde immer schlimmer und der Regen stoppte ab einem gewissen Zeitpunkt gar nicht mehr. Der ereignisreiche Tag startete mit dem Reissen von Fabians Schaltkabel, welches direkt auf der schlammigen Strasse ersetzt werden musste. Langsam merkten wir, wie wir in die Regionen von Liberias Hinterland gelangten. Speziell, als wir in einem grösseren Ort keinen Imbiss mehr fanden und uns mit gegrillten Maiskolben und Gurken zufriedengeben mussten. Bei der darauffolgenden Abfahrt rutschte Adrian das Vorderrad weg und er lag kurz darauf seitlich im Schlamm. Das ganze Dorf lachte und schrie in unsere Richtung. Nach einigen Minuten sahen wir den Alternativweg, leider zu spät!
Der Regen weichte die Strasse derart auf, dass es sich teilweise anfühlte, wie man sich auf Eis befände. Ohne weitere Stürze meisterten wir auch die vielen tiefen Wasseransammlungen, im Gegensatz zu vielen Lastwagen die stecken blieben.
Das Frühstück war dasselbe Gericht wie am Vortag bereits das Abendessen, nur diesmal enthielt es noch Fleisch von einem nicht identifizierbareren Tier aus dem Busch. Nach längerem Nachfragen fanden wir heraus, dass es sich um den Gelbrückenducker handeln musste. Auf jeden Fall gab es dem Ganzen einen süsslichen Geschmack.
Mit wenig Motivation zogen wir die klitschnassen und mit schlammüberzogenen Schuhe an und begaben uns zurück auf Liberias Abenteurerstrassen. Wir dachten nach gestern es könnte nicht mehr viel schlimmer werden, wurden allerdings schnell eines Besseren belehrt. Wir kamen nicht weit, bis erneut der erste Lastwagen bei einer Steigung festsass und kräftige, halbnackte Jungs mit verschwitzten Körpern mit Schaufel und Pickel das Gefährt ausbuddelten. Viele Dorfbewohner sahen dem Spektakel zu und versuchten die anderen Fahrzeuge über andere Routen um das verschlammte Stück zu manövrieren. Wir schoben unsere Fahrräder den Hang hinunter und mussten unten angekommen erstmal einen Teil des Drecks entfernen, um überhaupt weiterfahren zu können.
Viele Autos, Lastwagen und Busse, welche wir überholt hatten, sahen wir nie mehr. Die Leute müssen eine unendliche Geduld aufbringen, wenn sie in der Regenzeit in diese abgelegenen Gegenden reisen wollen. Gewisse Wasserlöcher waren so tief, dass wir beim Durchfahren bis zum Schienbein im Wasser waren.
Von ein paar Dorfbewohner erfuhren wir von der schrecklichen Zeit während des blutigen, 14-jährigen Bürgerkrieges, der erst seit ein wenig mehr als zehn Jahren offiziell beendet ist. Die Regierung brannte alle Häuser skrupellos nieder und viele Liberianer flohen in die Nachbarländer oder in den Busch. Im Busch mussten sich die verscheuchten Leute von irgendwelchen Wurzeln oder wildwachsenden Früchten ernähren.
In diesem Bürgerkrieg wurden viele Kindersoldaten gezwungen zu kämpfen und verschiedene Drogen zirkulierten unter den junge Soldaten. Jeder zehnte Kämpfer im Krieg war 15 Jahre alt oder sogar jünger.
Die Bevölkerung Sierra Leones und des benachbarten Liberias sind durch Bürgerkriege und die darauffolgende Ebola Epidemie stark dezimiert worden. Umso mehr erstaunte uns die unglaubliche Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Einheimischen. Die Leute sind zwar bitterarm, essen täglich, wenn überhaupt möglich, drei Mal trockenen Reis und haben keine Aussicht auf eine geregelte Arbeit. Nichtsdestotrotz hatten sie stets ein warmes Lächeln für uns übrig.
Glücklicherweise planierten die Chinesen letztes Jahr einen Teil der Strassen und dadurch kamen wir einigermassen vorwärts. Die eine Hauptverkehrsachse war im letzten Jahr während zwei Wochen unterbrochen und dadurch entstanden Lieferengpässe für Nahrungsmittel.
Nachdem wir einen bis zum Rand gefüllten Strom überquert hatten, fuhren wir an ein paar schlammigen Stellen vorbei und sahen plötzlich eine riesige Schlange Lastwagen vor uns stehen. Wir wussten sofort, dass hier die Strasse in einem unpassierbaren Zustand sein musste. In Wirklichkeit sammelten sich die ganzen Lastwagen in diesem Dorf, da sich zwei Lastwagen je auf einer Seite über einen Meter tief festgefahren hatten. Diese auszubuddeln stellte für unser Auge ein Ding der Unmöglichkeit dar, für Afrikaner eine leichte Schwierigkeit und eine Frage der Zeit. Der eine vollbeladene Lastwagen war bereits seit einer Woche im Loch und sogar bereits um die zwei Meter tief eingegraben. Für alle anderen Verkehrsteilnehmer gab es Alternativrouten durch das Dorf, an welchen die Einheimischen Barrieren errichteten und Mautgebühren einkassierten.
Vor einer Woche brach bei Adrian Malaria aus und es wurde empfohlen eine Nachprüfung vorzunehmen, um zu sehen ob man noch Spuren der Infektion im Blut sieht. Bei einem grösseren Ort fanden wir tatsächlich eine Klinik und wurden registriert, hatten ein Gespräch mit dem Arzt, absolvierten den Bluttest und bekamen nach einem weiteren Gespräch mit dem Arzt die Medikamente. Dies dauerte etwa zwei Stunden. Derselbe Test dauerte in der Apotheke ungefähr fünf Minuten. Wenigstens kostete die ganze Sache nichts, da alle Dienstleistungen in dieser Klinik gratis sind. Schlussendlich ergab der Test, dass das Blut immer noch Malariaerreger enthielt und eine weitere Behandlung notwendig war.
Die neuerdings staubige anstatt schlammige, mit Löchern überfüllte Strasse führte uns durch unbewohnten Wald und die abgelegene Region war extrem dünn besiedelt. Alle paar Kilometer kam wieder ein grösserer Ort. Zum Teil erschraken wir fast beim Anblick der grossen Orte, da wir so etwas überhaupt nicht erwarteten.
Zwedru war eine der letzten grösseren Städte in Liberia. Eine freundliche Frau bot uns nach längerer Fragerei ein Zimmer in ihrem Haus an. Wir erwarteten zwar, es sei nicht weit vom Zentrum, doch dies machte die Offerte nicht weniger herzerwärmend. Die korpulente Maiskolbenverkäuferin zeigte uns stolz das bescheidene Zimmer und wir genossen ein weiteres Mal die unendliche Gastfreundschaft.
Vor der Weiterfahrt wurden wir von der süssen Familie lecker bekocht und verliessen danach zusammen das Haus. Die Tochter hatte ihr Abschlussfest des Schuljahres und musste weinen als wir uns verabschiedeten.
Die nasse Piste konnten wir zwar gut befahren, aber trotzdem bekamen wir viele Schläge ab und unserer Fahrräder litten weiterhin. Die Strasse zog durch dichten Dschungel und wies mehr und mehr Steigungen auf, welche unsere müden Beine alles abverlangten. Schlussendlich fuhren wir in ein heftiges Gewitter und erreichten ein kleines Dorf klitschnass. Da der Regen nicht wirklich nachliess, entschieden wir uns in diesem Dorf zu bleiben. Die anwesenden Männer waren bereits in Feierabendstimmung und tranken ultrastarken, selbstgebrannten Zuckerrohrschnaps.
Der sehr kleingewachsene Dorfhäuptling und seine grosse Familie zeigten uns ihre Reisfelder mitten im Wald und vor der Abfahrt gab es ein traditionelles Reisgericht. Wir hatten beide schwere Beine von den Strapazen der letzten Tage, darum entschieden wir uns in einem grösseren Dorf zu übernachten. Bei Adrian kam noch dazu, dass er sich nie richtig von seiner ersten Malariaerkrankung erholen konnte und dadurch zusätzlich geschwächt war.
Nach einer etwas langgezogenen Suche nach dem Dorfoberhaupt, erhielten wir nach etwa drei Stunden ein Zimmer zugeteilt. Der 59-jährige hat neun Kinder und sagte offen und ehrlich er sei leider nur Bauer und könne nicht lesen und schreiben. Bis jetzt war er sicher das konservativste und ungebildetste Dorfoberhaupt. Allerdings zelebrierte er die Tradition, Kolanüsse mit seinen Gästen zu teilen, bevor sie offiziell im Dorf willkommen sind. Von diesem Ritual hatten wir bis anhin nur gehört.
Während wir nur im lebendigen Dorf herumliefen, um uns zu verpflegen, kamen wir immer wieder mit mehreren interessierten Liberianer ins Gespräch. Sie wollten immer zuerst wissen woher wir kommen und wohin wir fahren. Vielfach sind diese Unterhaltungen trotz der englischen Sprache eher mühsam, da die Logik und die Ausdrucksweise sehr unterschiedlich sein können. Aus diesem Grund ziehen wir uns vielfach zurück, um uns von den Strapazen zu erholen und die sich wiederholenden Gesprächen zu vermeiden.
Vielfach kommt eine Unterhaltung auf das Thema Politik zu sprechen und die Leute sind erstaunlich gut informiert und sprechen extrem offen über die aktuelle Lage des Landes. Liberia hat eine interessante und äusserst traurige Entstehungsgeschichte. Als die Sklaverei in den USA abgeschafft wurde, dachten sich die Amerikaner, es sei eine gute Idee diese Ex-Sklaven nach Liberia zu verschiffen. Was uns extrem erstaunte war, dass diese Ex-Sklaven die Ureinwohner des neu gegründeten Liberias versklavten und somit inoffiziell eine Kolonie der USA gründeten. Obwohl Liberia meistens als eines der einzigen niemals kolonisierten Länder gezählt wird, ist dies bei genauerer Betrachtung natürlich nicht der Fall.
Im Jahre 2006 wurde Ellen Johnson Sirleaf als erste weibliche Präsidentin im modernen Afrikas gewählt und konnte viele Verbesserungen bewirken in ihrer Amtszeit. Bereits als wir die Grenze nach Liberia überquerten, bemerkten wir die vielen stolzen Beamtinnen und Polizistinnen, was höchstwahrscheinlich auf die Präsidentin zurückzuführen ist.
Wir verliessen das kleine Dorf wieder, obwohl Adrian immer noch über schwere Beine klagte. Wenigstens wurde das Terrain durch den dichten, feuchten Wald ein wenig flacher und liess und darum mehr Kilometer zurücklegen als die letzten Tage.
Kurz nach Fishtown kam tatsächlich die Asphaltstrasse von der wir seit längerem gehört hatten und wir genossen die sanftere Fahrweise im Vergleich zu den holprigen Pisten der letzten Tage. Am Abend wurden wir herzlich von einer Grossfamilie aufgenommen und bekocht. Nach dem leckeren Abendessen kam die Idee auf, wir müssten unbedingt ein afrikanisches Hühnchen und Palmwein probieren. Also wurde kurzerhand ein Huhn geschlachtet und frischer Palmwein organisiert. Von einer Glühwürmchen-Disco begleitet, hatten wir interessante Gespräche bis das vorher noch herumgackernde Huhn fertiggekocht war.
Ausgerüstet mit fünf Kokosnüssen und einer bereichernden Begegnung mehr, verliessen wir die zuvorkommende Familie wieder. Kaum hatten wir uns an die Asphaltstrasse gewohnt, kam wieder ein Teil der Strasse, wo die Chinesische Strassenbaufirma noch beschäftigt war und wir ordentlich durchgeschüttelt wurden. Das Bild ist immer dasselbe: Ein Chinese mit Bauhelm steht irgendwo auf einer Erhöhung und schaut den Afrikaner bei der Arbeit zu.
Mehrfach sahen wir viele Frauen, welche uns mit schweren 20 Liter Wasserkanister oder riesigen Holzbündel auf dem Kopf entgegenkamen. Einen Teenager der eine Machete in der Hand trug, wollten wir fragen, ob er uns die Kokosnüsse öffnen kann. Leider hatte er so Angst vor uns, dass er sich so schnell er konnte aus dem Staub machte.
Bei einem grösseren Ort wollten wir etwas essen und fragten herum, ob es irgendwo eine Frau gibt die für die Allgemeinheit kocht. Überraschenderweise war alles ausverkauft. Zum Glück half uns eine Frau aus und wir kriegten zwei Mahlzeiten und sie akzeptierte nicht einmal Geld dafür. Die zweite Mahlzeit assen wir typisch afrikanisch zusammen mit sechs anderen Leuten aus einem riesigen Topf.
Viele Bauern bauen in Liberia Reis auf kleinen Feldern an und verkaufen ihn auf dem lokalen Markt. Der Reis kann drei Mal pro Jahr geerntet werden und ist günstiger als der Importreis. Trotzdem wird 95% des konsumierten Reises aus aller Welt importiert. Das Hauptproblem ist das fehlende Wissen der Bauern und das Vertrauen in die einheimischen Produkte.
Bereits gestern hatte Adrian ein grösseres Problem an seinem Fahrrad entdeckt und hatte Schwierigkeiten überhaupt noch weiterzufahren. Das Kettenspannrädchen war derart abgenutzt, dass die Kette im Schaltwerk nicht mehr schön geführt wird und somit den ganzen Schaltvorgang erschwerte. Ebenfalls drehte die Kette beim Tretlager durch und bei steileren Anstiegen war es unmöglich vorwärts zu kommen. Schlussendlich konnten wir das Problem überbrücken indem wir eine alte Kette montierten die weniger lang im Einsatz war. Das nächste Problem das auftauchte war die Schaltung. Vermutlich vom ganzen Schlamm der letzten Tage wurden die Schaltkomponenten so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass wir es mit unserem Anfängerwissen nicht reparieren konnten. Der Plan ist mit einem fixen Gang in die über 500 km entfernten Grossstadt Abidjan der Elfenbeinküste zu kommen und dort nach einem Fahrradmechaniker Ausschau zu halten.
In der Apotheke fanden wir den Grund heraus für unsere Schwäche der vergangenen Tage. Der Malariatest war bei Adrian immer noch eindeutig positiv und bei Fabian zeigte er noch eine schwache Infektion an. Mit einem neuen Wirkstoff versuchen wir in der nächsten Woche die Parasiten definitiv aus dem Körper zu entfernen.
Gestärkt mit Kochbananen und gestampftem Maniok, gespickt mit viel Zwiebeln und Chili fuhren wir mit konstanter Geschwindigkeit in Richtung Grenze. In Liberia haben wir immer wieder lustige Ortsnamen gesehen und heute kam mit «Old Lady Town» wieder ein neuer Favorit dazu.
Auf der Liberianischen Grenze waren die freundlichen, nicht wirklich ernstzunehmenden Grenzbeamten guter Laune und kauften uns sogar unsere SIM-Karte ab. Somit liessen wir ein sehr spannendes Land mit extrem offenen und gastfreundlichen Leuten zurück. Die vielen schönen Bekanntschaften, vor allem im Südosten des Landes, werden wir so schnell nicht vergessen.
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