24. April – 21. Mai 2019:
Kurz nachdem wir aus Guinea-Bissau ausgereist waren, kamen wir an einer kleinen Strohhütte mit Guineaflagge vorbei, wo uns der Grenzbeamte freundlich begrüsste. Er meinte den Einreisestempel bekämen wir nach etwa 30 km im nächsten Ort. Wir fuhren weiter der uralten, verwaschenen Strasse entlang, die nur noch von Fussgängern oder Motorradfahrern befahren wird. Wir wurden gehörig durchgeschüttelt, kämpften uns über steinige Auf- und Abstiege und schwitzten dementsprechend.
Nach einem kleinen Dorf, wurden wir angehalten und bekamen unseren Einreisestempel. Zuerst war der ältere Verantwortliche etwas mürrisch, lud uns jedoch anschliessend auf eine warme Mahlzeit ein und schenkte uns kühles Wasser im Plastikbeutel. Eine riesige Baustelle erschwerte unser Vorankommen extrem. Nur die liebenswürdigen und aufgestellten Handwerker konnten uns zum Lachen bringen, als sie uns erzählten, dass eine Glasfaserleitung in die Dörfer ohne Strom und fliessendes Wasser gezogen werde.
Der lange Tag näherte sich dem Ende, nachdem wir vor Boké endlich wieder Asphaltstrasse unter den Rädern spürten. Auf dem lebendigen und extrem lauten Markt deckten wir uns mit Fleischspiessen, Brot und lokalen Säften ein. In der Ungewissheit ob wir bis zur Dunkelheit noch einen Übernachtungsplatz finden würden, fragten wir eine Familie ob wir unser Zelt neben ihrem Haus aufbauen können. Die Frauen vor Ort waren hellbegeistert uns zu beherbergen und wir bekamen sogar ein eigenes Zimmer, eine Eimerdusche und gekochte Mangos zum Dessert.
Nach den fast 100 km auf schlechten Strassen, waren wir immer noch gerädert vom Vortag und gingen den Tag ein wenig gelassener an. Ausserdem haben wir seit dem Beginn in Norwegen bereits 100’000 Höhenmeter absolviert, was etwa der elffachen Besteigung des Mount Everest (von Meereshöhe) entspricht!
Zurück auf der relativ neuen Asphaltstrasse, wurden wir neu in den lokalen Regionalsprachen Susu und Fula begrüsst. Während einer Verkehrskontrolle mussten wir zum ersten Mal überhaupt in Afrika unsere Gelbfieberimpfung vorweisen und waren darum ein wenig verärgert, da sie nicht griffbereit war. Nachdem die Prozedur vorbei war, wechselten der Beamte seine Mimik und war sehr hilfsbereit. Bei einer Strassenkreuzung verkauften mindestens 40 Frauen und Kinder Mangos, Ananas, Kochbananen, Fische und sonstige Leckereien. Wir probierten die lokale Ananas, welche sehr günstig und köstlich war. Seit einiger Zeit ist die Mangosaison in Westafrika eröffnet und überall sieht man Kinder, die sich die Früchte von den Bäumen holen.
Immer wieder sahen wir verschiedene Fahrzeuge mit grünen Zweigen verziert. Anscheinend heisst das, es befindet sich eine Leiche im Auto oder die Leute im Auto sind unterwegs zu einer Beerdigung.
Während einer Pause alberten mit den sehr interessierten und extrovertierten Guineern herum und beobachteten gleichzeitig die völlig überladenen Autos und Busse. Uns fielen fast die Augen aus dem Kopf, als mindestens zwölf Leute aus einem Personenwagen stiegen. Drei vorne, fünf hinten, zwei im Kofferraum und zwei vorne auf dem heruntergelassenen Fenster sitzend. Kurz vor dem Abend legten wir eine längere Pause neben einem Haus einer Familie ein und diese brachte uns gleich eine Matte und Kissen um uns zu entspannen.
Im Senegal, in Gambia und Guinea-Bissau assen wir zum Frühstück vielfach ein Sandwich mit Omelett, Zwiebeln und Mayonnaise. In Guinea ist diese Mahlzeit weniger verbreitet und wir gewöhnten uns langsam daran Reis mit Fisch und Erdnusssaue zu essen.
Anders als in Guinea-Bissau und Gambia, gab es in Guinea von Anfang an viele Strassenverkäuferinnen, die verschiedene Lebensmittel und Verbrauchsgegenstände verkauften. Generell erinnerte uns Guinea von Anfang an Senegal. Die Mentalität ist jedoch trotzdem verschieden. Guinea hat seit 1960 seine eigene Währung, den Franc Guinéen. Vor dieser Zeit war Guinea Mitglied der CFA-Franc-Zone.
Am Strassenrand wird überall Kohle und Palmöl verkauft. Das Palmöl wird von Familien hergestellt und in Kanister abgefüllt. Ausserdem fiel uns schon am ersten Tag auf, dass die Chinesen viel Geld in Projekte in Guinea investieren. Riesige Autobahnen hochfrequentiert mit Lastwagen gefüllt mit Bauxit fahren in Richtung Hafen. Fast alle der riesigen Baustellen sind mit Chinesischen Schriftzügen dekoriert.
Die Fahrweise der Guineer ist definitiv in der Kategorie «lebensmüde» einzustufen. Überholmanöver wie aus Actionfilmen, völlig überladene Fahrzeuge und Leute auf dem Dach oder auf der Anhängerkupplung stehend, winken uns sogar noch zu, als wäre alles ganz ungefährlich. Die vielen Autowracks am Strassenrand zeigen ein anders Bild.
Als uns die lokale Währung ausging, fragten wir einige Einheimische wo wir denn Geld umtauschen können. Keiner wusste wirklich wo das möglich wäre, ausser in einer über 50 km entfernten Stadt. Somit fragten wir einige Polizisten ob sie uns weiterhelfen wollten. Diese waren sehr erfreut uns helfen zu dürfen und riefen ihre Kontakte an, um den aktuellen Wechselkurs und den Standort herauszufinden. Schlussendlich fanden wir jemanden der uns ein wenig Geld wechseln konnte, damit wir uns wieder für ein paar Tage verpflegen konnten. Man stelle sich diese Situation in der Schweiz vor. Wahrscheinlich wäre man schon mit einem Fuss im Gefängnis, wenn man bei uns einen Polizisten nach einem Schwarzmarkt Geldwechsler fragen würde.
Bald erreichten wir eine langgezogene Hügelkette die wir schwitzend überquerten. Danach folgten wir einem mehreren hundert Meter hohen Felswand und genossen somit die landschaftliche Abwechslung.
Seit einigen Tagen bemerkten wir die zunehmende Feuchtigkeit, vor allem morgens und abends, was mit unserem Vordringen in den Süden zu tun hat.
Der Verkehr nahm stetig zu und wir kämpften uns durch den qualmenden Verkehr zur Halbinsel, auf welcher sich Conakry und somit unsere nächste Station befindet. Irgendwann hörten wir das Gehupe, die klappernden Motoren und die schreienden Strassenverkäufer nicht mehr und folgten wie in Trance dem stockenden Stadtverkehr. An jeder grösseren Kreuzung kam der komplette Verkehr zum Erliegen und Motorräder und wir mit unseren Fahrrädern versuchten im Zickzack oder auf dem Gehsteig die Blechlawine zu umgehen. Erstaunt beobachteten wir die vielen hart arbeitenden Kinder die irgendwelche Dinge verkauften und tagtäglich den unausstehlichen Abgasen ausgesetzt sind.
Im Stadtzentrum angekommen, warteten wir vor einem Stadtpark auf unsere Gastgeberin Karolina, welche schon fast vier Jahre in der Hauptstadt lebt. Aufgrund des anstehenden Ramadans, dem Fastenmonat der Muslime, waren viele Heiratsgesellschaften unterwegs und dadurch gestaltete sich die Wartezeit sogar interessant.
Karolina begrüsste uns herzlich und zeigte uns das Zimmer mit Klimaanlage, welches wir für die nächsten Tage zur Verfügung hatten. Am Abend gingen wir mit Freunden von ihr in eine marokkanische Bar, wo wir das Einheimische Bier degoutierten und mehr über die Stadt erfuhren.
Sogar noch vor dem Frühstück verliessen wir die klimatisierte Wohnung und machten uns auf den Weg zur Botschaft von Sierra Leone. Am Vortrag lernten wir beim Mittagessen zufällig den Bruder des Vize Botschafters kennen und erfuhren, dass die Botschaft umgezogen sei. Ausserdem teilte er uns mit, die Botschaft sei am nächsten Tag geschlossen, da zwei Tage zuvor der Unabhängigkeitstag Sierra Leones war.
Völlig verschwitzt erreichten wir die Botschaft, welche trotz des angeblichen Feiertages geöffnet war und wir wurden herzlich empfangen. Entgegen unseren Erwartungen meinte der zuständige Beamte, wir sollen ihn am nächsten Tag anrufen und wir könnten das Visum bereits abholen. Von anderen Reisenden hatten wir gehört man müsse auf der Bank eine Zahlung machen und auf der Botschaft ein Interview absolvieren, bevor man das Visum einige Tage später entgegennehmen kann. Wir liessen 200 US Dollar, je zwei Passbilder, eine Passkopie und unseren Pass zurück und hofften mit dem Erzählen unserer Geschichte die Beamten auf unsere Seite geholt zu haben.
Prompt konnten wir das Visum bereits am nächsten Morgen abholen und bekamen sogar noch Tipps für die Routenwahl. Später fuhren wir durch die Altstadt, besuchten den Niger Markt und entspannten auf dem Sofa in Karolinas Wohnung. Am Abend besuchten wir eine Bar voller Einheimischer und gönnten uns ein paar lokale und weniger lokale Biere.
Wir kämpften uns bei bewölktem Himmel keuchend aus dem Grossstadtverkehr und versuchten unfallfrei aus dem Chaos zu entfliehen. Der Verkehr nahm kontinuierlich ab und somit leider auch die Strassenqualität. Die völlig überladenen PWs und Busse kämpften sich qualmend über die grossen Schlaglöcher und vorbei an ausgemusterten Fahrzeugen. Die holprige Strasse stieg immer mehr an, bis wir eine wunderbare Aussicht auf die abgeholzten umliegenden Hügel bekamen.
Am stets belebten Strassenrand verkauften die tüchtigen Frauen Mangos, Ananas und heute das erste Mal auch Avocados. Für vier Mangos bezahlten wir gerade mal 0.10 CHF, was uns ein schmunzeln auf das Gesicht zauberte, da wir automatisch immer mit den horrenden Schweizer Preisen vergleichen.
Trotz Fabians häufigen Durchfallattacken seit Conakry, wollten wir weiterkommen, da unser Visa im grossflächigen Guinea nur für einen Monat gültig ist und wir möglichst viel vom Land entdecken möchten.
Die Gegend wurde definitiv hügliger und wir mussten mehrere Pässe überqueren. Die darauffolgende Abfahrt resultierte im Erreichen der Ausgangshöhe. Die Strasse wurde ein wenig besser, aber die Lastwagen donnerten immer noch in viel zu schnellem Tempo über die löchrige Strasse. Einmal mussten wir neben die Strasse ausweichen, da ein Lastwagen einen anderen in einer unübersichtlichen Kurve überholte und uns somit den Platz auf der Strasse stahl. Später assen wir in einem authentischen Dorf ein Mayonnaise-Sandwich und wurden von über 15 Kindern angestarrt, die wohl noch nie einen Weissen gesehen hatten.
Einheimische schenkten uns immer wieder einige frischgepflückte Mangos und wir freuten uns über das grosszügige Geschenk. Das Gelände gestaltete sich noch hügliger als die Tage zuvor und wir fuhren durch dichten Wald und kleine Dörfer. Nach Mamou nahm der Verkehr deutlich ab und die Aussicht auf die umliegenden Hügel wurde immer eindrücklicher.
Kinder riefen uns vermehrt zu: «Chinesen, Chinesen» und wir amüsierten uns köstlich über den Irrtum. Die Kinder sehen in dieser Region mehr Chinesen als Europäer, aufgrund der riesigen Investitionen der Asiaten in Mienen und Wasserkraftprojekte.
Als wir ein Dorf auf 1000 m.ü.M. verliessen fanden wir einen perfekten Platz für unser Zelt und genossen das Panorama.
Unser Schlafplatz war lange kein Geheimnis mehr und mehrere Einheimische Pärchen suchten den Ort mit Aussicht auf, um ein wenig zu plaudern. Bereits nach einigen hundert Meter stieg die Strasse steil an und dies änderte sich wenig bis wir Dalaba auf über 1’200 m.ü.M. erreichten. Das Klima im Bergdorf war komplett anderes als wir uns mittlerweile aus Westafrika gewohnt waren. Sogar Graslandschaften und Kiefernwälder waren zu sehen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, kämpften wir uns einen steinigen und steilen Pfad hinunter zur «Pont du Dieu» (der Gottesbrücke), wo wir eine Naturbrücke aus Stein betrachten konnten. Für uns war der untendurch fliessende Bach viel interessanter, da wir unsere verschwitzten Körper im erstaunlich kalten Wasser endlich wiedermal waschen konnten. Beim Weiterfahren hielten wir kurz im Zentrum von Dalaba an, um den lebendigen und interessanten Sonntagsmarkt zu bestaunen.
Am Abend zuvor erhielten wir einen Tipp von einem Amerikaner der in der Gegend wohnt, dass es in Pita einen Deutschen Couchsurfer gibt. Wir schrieben ihn sofort an und hofften von ihm bis am nächsten Morgen zu hören. Glücklicherweise sah Karl die Nachricht sehr schnell und akzeptierte die spontane Anfrage.
Also fuhren wir die restlichen Kilometer bis Pita und trafen Karl mit seiner Familie und wurden herzlich empfangen. Zuerst erzählte er uns seine interessante Lebensgeschichte und zeigte uns seinen riesigen Garten mit über 25 Früchtesorten aus aller Welt.
Später besuchten wir den nahegelegenen Kinkon Wasserfall, der unterhalb eines kleines Stausees liegt. Als wir zurück waren, wurden wir wie schon beim Mittagessen von Karls Frau bekocht und hatten lange Gespräche bis wir alle müde waren.
Nach einem ausgiebigen Frühstück, fuhren wir mit unseren Fahrrädern zu den ungefähr 25 km entfernten Kambadaga Wasserfällen. Zuerst fuhren wir zurück auf der Hauptstrasse wo wir herkamen, um danach auf einer sehr schlechten und steinigen Piste zum Fluss zu gelangen. Eine extrem abenteuerliche Brücke musste vorsichtig begangen werden. Uralte und verrostete Stahlseile hielten die Brücke zusammen, ausgestattet mit Blechen um darauf zu gehen. Danach nahmen wir den steilen Weg in Angriff, um das Becken des grösseren Wasserfalles zu erreichen. Wir genossen die Abkühlung im Wasser während wir den mit etwa 50 Metern Höhe eindrücklichen Wasserfall betrachteten.
Nach der Tortur zurück nach Pita, suchten wir vergeblich ein offenes Restaurant. Der Grund dafür war der seit einem Tag laufende Ramadan, welcher den muslimischen Fastenmonat darstellt. Eine nette Frau bot uns schlussendlich an, ein Sandwich zu präparieren, welches wir später bei Karl Zuhause assen.
Schwermütig verabschiedeten wir uns von der süssen Familie und bepackten unsere treuen Fahrräder. Eigentlich wollten wir auf der Hauptstrasse weiter fahren bis nach Labé, um von dort auf der N27 weiter in Richtung Osten zu fahren. Von verschiedenen Tourenfahrern und Karl erfuhren wir jedoch, dass diese Strasse in einem katastrophalen Zustand ist und überhaupt nicht den Charakter einer Hauptstrasse aufweist wie auf den Landkarten abgedruckt. Darum bevorzugten wir 110 km zurückzufahren bis nach Mamou, um dann eine andere Hauptstrasse nach Osten zu verfolgen.
Wir hatten Pita noch nicht einmal verlassen, trafen wir mit Julia und Pere ein Spanisches Paar auf Tourenrädern. Die beiden sind in Südafrika gestartet und fahren zurück in ihre Heimat in Katalonien. In einem leider zu kurzen Gespräch tauschten wir uns über die kommenden Länder aus und gaben uns gegenseitig Tipps und Anekdoten auf den Weg. Wir kannten uns bereits aus einem riesigen WhatsApp-Chat, in welchem Dutzende abenteuerhungrige Weltenbummler Informationen teilen und einander aushelfen.
Wieder auf den Fahrrädern genossen wir die schöne Landschaft und Weitsicht, auch wenn wir die Strecke bereits kannten. Plötzlich fuhr ein überfülltes Taxi an uns vorbei und eine weisse Frau mit Piercing schrie aus dem Fenster. Schnell realisierten wir, dass es sich um unsere Freunde Inga und Kenneth handeln musste. In Dalaba verabredeten wir uns zum Essen und tauschten unsere Geschichten und weiteren Reisepläne aus. Nach dem nun dritten, bisher kürzesten Treffen fuhren wir ein wenig weiter und fanden einen tollen Platz mit Aussicht.
Trotz starkem Wind und tausenden Blitzen in der näheren Umgebung, wurden wir in der Nacht vom Regen verschont. Bereits nach einem Kilometer realisierte Fabian, dass er am Hinterreifen einen Platten hatte und reparierte diesen kurzerhand.
Trotz Ramadan versuchten wir in einem kleinen Dorf nach einer warmen Mahlzeit zu fragen. Nach längerer, erfolgloser Suche schickten uns die Frauen zu den Polizisten, die uns nach kurzer Überzeugungsarbeit ihre Resten vom Vorabend anboten. Meistens haben die Leute in Afrika das Gefühl wir wollen ein 3-Gangmenu. In Wahrheit suchen wir jedoch nur etwas Einfaches zu essen, was auch von den Einheimischen gegessen wird.
Die Höhenmeter liessen noch nicht nach und wir realisierten, dass wir uns immer noch im Fouta Djalon befanden. Immer wieder ging es hoch und runter. Die Strasse wurde immer löchriger und die Häuser am Strassenrand authentischer. Manchmal gelang es uns mit den vollgepackten Lastwagen bergauf mitzuhalten und sie beim Herunterfahren sogar zu überholen.
Die Leute in dieser Region sehen sehr selten Touristen oder generell weisse Leute und schauten scheu zu uns rüber. Viele Frauen verkauften hunderte Mangos die überreif von allen Bäumen donnern. Wir fragen uns immer noch wer die vielen Mangos kaufen soll, denn jede Familie hat selber Mangobäume im Garten.
In Dabola, einer grösseren Stadt, versuchten wir vergeblich Desinfektionsmittel für die Hände und einen Ersatz für Fabians defekte Getränkehalterung zu finden. Trotz der drückenden Hitze stiegen wir auf unsere Fahrräder und nahmen die löchrige Strasse wieder in den Angriff. Die Landschaft änderte sich schlagartig und wir befanden uns wieder in einer savannenartigen Umgebung. Die Berge und Hügel verschwanden und flaches, trockenes Weideland mit vereinzelten Bäumen prägte das neue Landschaftsbild.
Vielerorts sahen wir Lastwagen am Strassenrand, welche den Geist aufgaben. Meistens lagen darunter ein paar Jungs, entweder schlafend oder kochend. Wir wissen nicht genau wie, aber meistens schaffen es die talentierten Hobbymechaniker die Lastwagen wieder zu reparieren und können weiterfahren. Immer wieder amüsierte uns dieses Bild, da man bei uns so etwas nie zu sehen bekommt. Dazu kommt, dass die Jungs nie frustriert sind und die ärgerliche Situation völlig gelassen angehen.
Viele Kinder schrien uns «Toubabo» zu und rannten in unsere Richtung. Im Gegensatz zu den letzten Tagen änderte sich das Wort für Weisser und somit wussten wir, dass die auch die Sprache der Leute änderte. In diesem Teil von Guinea leben mehrheitlich Menschen vom Stamm der Malinkè.
In einem grösseren Ort versuchten wir etwas Essbares, welches nicht Sardinen aus der Dose und Brot war. Leider sprach fast niemand Französisch und wir fragten uns schon, ob das noch was wird. Zum Glück fragten wir beim Restaurant von Kalil Camara und seinem Sohn Senkoun Ariel Camara. Senkoun war sehr interessiert uns zu helfen und fuhr sogar mit dem Motorrad durch das kleine Dorf, um zu fragen was erhältlich ist. Offensichtlich war niemand am Essen, da die meisten Leute fasteten. Schlussendlich kaufte er uns alle Zutaten für ein Omelett und wir konnten es auf einem Kohlegrill direkt am Strassenrand selber zubereiten. Leider bekam Adrian zur selben Zeit heftige Bauchschmerzen und wir entschieden uns in diesem Dorf zu bleiben. Ohne nachzufragen offerierte uns die Familie der Restaurantbesitzer sofort ein Bett in einer traditionellen Rundhütte.
Glücklicherweise milderten sich die Bauchschmerzen über Nacht und wir konnten weiterfahren. Wir bedankten uns herzlich bei der gastfreundlichen Familie und näherten uns schnell Kouroussa. Dort deckten wir uns mit Brot und Schokoladenaufstrich ein und fanden endlich das Desinfektionsmittel für die Hände.
Anstatt die Strasse von Kankan nach Kissidougou zu nehmen, entschieden wir uns eine nicht asphaltierte Alternative durch den Busch auszuwählen. Der fast 200 km lange Ausflug begann mit der Überquerung des Flusses Niger, der direkt nach Kouroussa auf uns wartete. Der Fluss Niger weist eine Länge von mehr als 4180 Kilometer auf und ist somit Afrikas drittlängster Strom. Aufgrund der Trockenzeit konnten wir unsere Fahrräder ohne Probleme auf die andere Seite schieben. Wir liessen uns natürlich die Gelegenheit im Fluss zu baden nicht entgehen und die über 20 Kinder vor Ort freuten sich sehr mit uns zu spielen. Da ein heftiges Gewitter aufzog, entschieden wir uns wenig später das Zelt im Wald aufzustellen.
In jedem Dorf rannten uns Dutzende Kinder hinterher und ausnahmsweise glotzen auch die Erwachsenen als seien wir von einem anderen Planeten. Anscheinend verirren sich nicht viele Touristen in diese Region des Landes. In einem Dorf organisierten uns ein paar Jungs frische Mangos und wir kamen mit der einzigen Person die Französisch sprach ins Gespräch. Das halbe Dorf hörte interessiert zu, wie er ihnen unsere Reise erklärte.
Am Nachmittag fragten wir in einem Dorf den Dorfhäuptling, ob wir hier übernachten durften. Sofort zeigte er uns ein Zimmer in seinem Haus und sagte seinen Kindern sie sollen beim Brunnen Wasser holen, damit wir duschen können. Natürlich war es auch selbstverständlich, dass wir bei derselben Familie für das Nachtessen eingeladen waren. Gastfreundschaft ist auf dem Land Ehrensache!
Von lauter und nicht unserem Geschmack entsprechender Musik wurden wir sehr früh geweckt und konnten schwer wieder einschlafen. Bis wir schlussendlich aufstanden, schliefen die meisten Dorfbewohner bereits wieder, da sie fertig gegessen hatten und die Sonne aufging.
Wir folgten weiterhin der «Hauptstrasse» und wunderten uns wieso nirgends ein Hinweis zum «Parc National du Haut Niger» war. Denn seit nun schon vier Tagen befinden wir uns im Territorium des Nationalparks. Leider haben wir noch keine Tiere gesehen, ausser Tausende sich fortpflanzende Frösche in einem grösseren Teich, welche eine imposante Geräuschkulisse verursachten.
Die Strasse wurde zunehmend steiler und sandiger. Manchmal hatten wir mühe unsere dünnen Reifen unter Kontrolle zu behalten. Wir merkten auch, dass die Gegend feuchter und grüner wurde, obwohl immer noch viel Wald von den Einheimischen für die Anpflanzung von Maniok, Cashewbäumen und Reis gerodet wird. Übel kann man es der armen Landbevölkerung jedoch nicht nehmen, denn eine andere Arbeit bzw. Existenz gibt es hier nicht.
Nach einer regenreichen Nacht im Busch, realisierten wir, dass unsere Zeltunterlage von gefrässigen Terminen durchlöchert wurde. Dieses Problem kennen wir bereits von anderen Reisenden und scheint normal zu sein. Der nächtliche Niederschlag füllte die grossen Schlaglöcher mit viel Wasser und es war zum Teil schwierig abzuschätzen wie tief man einsinken wird.
Nach weiteren anstrengenden 50 km erreichten wir die Stadt Kissidougou und somit die Asphaltstrasse. Bei einer Tankstelle durften wir unsere Geräte aufladen, da wir seit ein paar Tagen auf unser Solarpanel angewiesen waren. Bei einer Bar fragten wir, ob es möglich wäre im Hinterhof unser Zelt aufzuschlagen und die Einheimischen meinten das sei kein Problem. Wir wurden sofort aufgeklärt, dass in dieser Region des Landes die Mehrheit Christen seien und darum Alkohol trinken dürfen. Ein netter Agronom lud uns direkt auf ein einheimisches Tonic ein und erzählte von seinen bepflanzten Feldern.
In der Bar lernten wir interessante Einheimische kennen und erfuhren von allen was sie beruflich machen. Jeder wollte etwas mit uns unternehmen oder uns in der Stadt herumführen. Fapenguo zeigte uns nach einem gemeinsamen Abendessen seinen Friseurladen, den er selber aufgebaut hatte und erklärte uns sein Geschäftsmodell.
Trotz vieler Programmvorschläge genossen wir den Pausentag und bewegten uns ausnahmsweise nicht viel. Beim Wasser holen bei einem öffentlichen Brunnen, wurde Fabian von einer englischsprechenden Studentin zum Essen eingeladen und einer längeren Unterhaltung.
Der Chemielehrer Bavogui lernten wir ebenfalls in der Bar kennen und er versprach uns am nächsten Morgen um 8 Uhr bei der Schule auf uns zu warten, um uns herumzuführen.
In der grossen Schule trafen wir den strahlenden Lehrer, der sich speziell für uns freigenommen hatte. Wir besuchten einige Lektionen und setzten uns in die vorderste Reihe, um dem Unterricht gespannt zu folgen. Neben den bescheiden ausgestatteten Schulzimmern, mussten sich bis zu vier Schüler auf eine Bank drängen. Klassengrössen können bis zu 100 Kinder enthalten, welche niemals alle in einem der mittelgrossen Zimmer Platz hätten. Die Türen sind immer geöffnet und es ist völlig normal, dass Schüler den Unterricht nach Belieben verlassen. Respekt ist extrem wichtig und wenn der Lehrer eine Frage stellte, schnellten sofort ein Dutzend Arme in die Luft. Die Schüler riefen nervös den Namen des Lehrers und schnippten mit den Fingern. Da die Klassenzimmer keine geschlossenen Fenster haben, kann man auch mal einen Schüler sehen der aus dem Fenster spukt.
Die Analphabetenrate in Guinea ist mit fast 60% extrem hoch, was bei einer Einschulungsrate in Primarschulen von 50% nicht weiter erstaunlich ist.
Ein paar Kilometer nach Kissidougou trafen wir Fapenguo und er zeigte uns sein zweites Standbein, die Landwirtschaft. Auf einer kleinen Fläche präsentierte er uns sein Maisfeld und einige Bananenstuden. Kurz darauf zeigte er in der Nähe seines Heimatdorfes, eine schwierig zu überquerende Brücke. Die nur aus einigen Bambusstäben und einigen Drahtseilen konstruierte Brücke wird nur bei Hochwasser verwendet.
Leider setzte ein extrem starker Regen ein, gerade als wir die Brücke erreichten und wir wurden klitschnass. Nicht einmal ein riesiger Baum konnte uns vom Platzregen schützen. Alle getragenen Kleider inklusive Schuhe waren nass und wir froren sogar ein bisschen. Wieder auf der Hauptstrasse verabschiedeten wir den ebenfalls nassen und schlotternden Fapenguo und fuhren los. Der Regen begleitete uns durch steile Auf- und Abstiege, wurde jedoch stetig schwächer.
Leider gab das Solarpanel in den letzten Tagen den Geist auf und wir mussten vorläufig darauf verzichten. Aufgrund der Garantie wollten wir nicht selber daran herumbasteln oder einen einheimischen Elektriker die Chance geben.
Genau heute vor einem Jahr sind wir am Nordkap in Norwegen losgefahren in Richtung Südafrika. Ein Jahr später befinden wir uns im tiefen Guinea und haben fast 19’000km zurückgelegt. Unglaublich wie weit man in einem Jahr mit dem Fahrrad kommt!
Die Landschaft änderte sich bereits gestern im Vergleich zu den Tagen zuvor markant. Wir konnten viele Frauen sehen, die in den Reis-, Maniok- und Ananasfelder arbeiteten. In dieser Region Guineas fällt am meisten Regen und dadurch ist die Umgebung grün und feucht.
Die neue Asphaltstrasse, die wir seit Kissidougou genossen, endete abrupt und eine mühsam passierbare Piste erwartete uns bis Guéckédou. Mit mindestens 40 Tonnen beladene Lastwagen kamen uns im Schritttempo entgegen und die Leute auf dem Anhänger winkten uns freundlich zu. In Guéckédou, dem letzten grossen Ort vor der Grenze zu Sierra Leone, gab es Leute aus verschiedenen Ländern die alle möglichen Währungen zu tauschen versuchten.
Genau am Tag unseres einjährigen Jubiläums auf Reise, bemerkten wir einen riesigen Riss im Computerbildschirm und der Touchscreen machte sich selbständig. Wir hofften diesen in der Hauptstadt von Sierra Leone zu ersetzten.
Im Grenzort Nongoa nutzen wir eine der Ladestationen, um unseren Computer und Handys aufzuladen, da Elektrizität in Westafrika ein Luxus ist. Bei einem Kaffee kamen wir mit dem Englischlehrer Diallo ins Gespräch, der sehr interessante Weltansichten vertrat und viele innovative Ideen für sein Land hat.
Erst am späteren Nachmittag fuhren wir anstatt über die Grenze nach Sierra Leone, weiter der immer schlechter werdenden Piste. Diallo sagte uns, dass viele Touristen einen Wasserfall in der Nähe besichtigten. Das Dorf von welchem man zum Wasserfall kam, war schwierig zu finden und von dort gingen wir mit ein paar Dorfbewohner zu Fuss weiter. Schnellen Schrittes kletterten die Männer den Flussverlauf hoch bis wir zum Grenzfluss kamen, von wo wir einige Wasserfälle und Stromschnellen bestaunen konnten. Da es schon spät war, fragten wir, ob wir im Dorf übernachten durften. Angeblich waren wir die ersten Weissen, die im Dorf übernachteten und mit den Einheimischen assen. Von gross bis klein waren alle sehr interessiert und wie immer war unser Zelt die Hauptattraktion.
Bereits um fünf Uhr morgens wurden wir von den Tieren und Menschen um uns geweckt. Als wir erwachten, sahen wir wie uns etwa 10 Kinder und 5 Erwachsene beobachteten wie wir im Zelt lagen. Wir teilten unser Brot mit dem Dorfhäuptling und anderen Männern und bekamen vor der Abfahrt ein wenig Reis mit Palmöl und Fisch. Die Männer waren extrem erfreut, dass wir mit ihnen assen.
Schnell erreichten wir das letzte Dorf vor der Grenze. Als wir aus diesem Dorf fahren wollten, riefen uns ein paar Männer nach, wir sollten anhalten. Da uns jede zweite Person etwas nachruft, ignorierten wir die Rufe und fuhren weiter. Schnell holte uns ein Motorrad ein und der Polizist meinte wir seinen am Zoll vorbeigefahren. Angeblich mussten wir unser Ausreisestempel bereits 7 km vor der Grenze abholen. Wir folgten ihm in sein Büro und er wollte schon anfangen uns zu registrieren, als er plötzlich meinte wir müssten dafür bezahlen. Obwohl es nur ein minimaler Betrag war, wollten wir nicht für etwas bezahlen wovon wir nicht wussten, dass es eine offizielle Gebühr ist. Nach langer Diskussion und ein paar Anschuldigungen unsererseits, knallte er uns einen Stempel in den Pass und schrieb Einreise daneben. Wir wurden wütend und sagten ihm er sei verrückt und wisse nicht was er tue. Er wollte uns damit eins auswischen, damit wir nicht ausreisen konnten und zu ihm zurückkommen mussten. Schlussendlich fuhren wir weiter und hofften an der Grenze einen anderen Stempel zu bekommen.
An der Grenze war nichts ausser einer Strohhütte und eine Piroge mit dem man auf die andere Seite kam. In der Hütte sassen ein Militarist und seine Frau die Gebäcke verkaufte. Wir nutzten die abwesende Professionalität zu unseren Gunsten und schrieben von Hand selber Ausreise in unsere Pässe. Der Verantwortliche hinterfragte das unleserliche Gekritzel nicht und wir nahmen das kleine Boot auf die andere Seite.
In Guinea sind wir seit der Wüste wiedermal mehr Kilometer gefahren, aufgrund der Grösse des Landes und der Wahl unserer Route. Ursprünglich wollten wir 1850 km fahren, aber kürzten die Route schlussendlich auf 1500 km ab. Wir konnten in den fast 30 Tagen viele verschiedene Landschaften und Völker kennenlernen und bekamen einen guten Eindruck dieser Region Westafrikas.
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