4. Februar – 14. Februar 2020:
Wir liessen die zuvorkommenden Polizisten zurück und begaben uns auf die anfangs noch asphaltierte Strasse. Bald mussten wir den Asphalt suchen und teilweise glich die Strasse eher einem Bachbett. Viele Frauen und Kinder kamen uns mit Nahrungsmittel oder Wasser auf dem Kopf entgegen und glotzten uns an, bis wir vorbeigefahren waren.
Plötzlich machte der Wechsler bei Adrians Schalsystem komische Geräusche und Bewegungen. Kurz danach konnte er gar nicht mehr treten und wir warfen einen Blick auf das offensichtlich kaputte Teil. Wir stellten fest, dass die Kassette beim Treten nicht mehr mitbewegt und somit ein Weiterkommen unmöglich war. Glücklicherweise war es nicht mehr weit zum nächsten grössen Dorf und Adrian konnte sein Zweirad schieben. Wir fanden einen Mechaniker, der uns aber nicht wirklich helfen konnte mit seinen prähistorischen Werkzeugen. Wir nahmen das Rad weg und entfernten die Scheibenbremse und die Kassette. Weiter kamen wir leider nicht, da uns ein Inbus Nr. 11 fehlte. Bald ging die Sonne unter und wir entschieden uns den Dorfchef zu fragen, ob wir bei ihm im Garten das Zelt aufstellen konnten. Dies war wie üblich kein Problem und es war sogar ein Sicherheitsdienst vorhanden.
Wir fragten zahlreiche Mechaniker nach einem Inbussschlüssel Nr. 11 aber diese hatten auch keinen zur Hand. Uns wurde empfohlen unsere Suche in der nächsten Stadt fortzusetzen. Spontan fragten wir zwei Einheimische, die gerade ihr Auto beluden, wo sie hinfahren wollen. Zufälligerweise hatten die zwei zuvorkommenden Männer das gleiche Ziel und sie meinten sofort es sei kein Problem für ein wenig Benzingeld mitzukommen. Wir waren froh, denn so waren wir nur zu viert in einem PW anstatt zu zehnt.
Nach einer dreistündigen Schüttelfahrt erreichten wir die Stadt Boma. Wir wurden sogar direkt zum Hafen gefahren, wo die Fahrradhändler zu finden waren. Schnell realisierten wir, dass unser Unterfangen erfolglos bleiben würde und wir liefen zum Büro von Philippe, einem Bekannten, den wir von einem Chat für Reisende kannten.
Dort wurde uns direkt ein Zimmer angeboten und ein Plan für den nächsten Tag erstellt. Leider gab es in der Nacht eine Überschwemmung und mittendrin war unser Laptop. Wir hatten jedoch Glück im Unglück und bekamen keinen Elektroschock ab, denn der Laptop war am Strom angeschlossen. Darfür funktonierte Laptop nicht mehr.
Für unsere Verhältnisse eher früh, fuhren wir zum Busbahnhof, um das Fahrrad wieder auf einem PW zu laden und die etwa 120 km zur nächsten Grossstadt zu starten. Die Türe mit aller Mühe geschlossen, fuhren wir mit vier Leuten auf dem Rücksitz los. Nach wenigen Kilometern hörten wir ein uns bekanntes Geräusch und der Fahrer hielt an. Ein Mechaniker, der im Kofferraum sass, ersetzte den Reifen innerhab von wenigen Minuten und weiter ging es.
Kaum in Matadi angekommen, ging gar nichts mehr wegen dem vielen Verkehr und wir mussten zu Fuss bis zum Treffpunkt gehen, wo wir von Philippe‘s Chauffeur zu seinem Haus gebracht wurden und seine Frau Anne kennenlernten. Von Anfang an wurden wir wie Söhne des älteren französischen Pärchens behandelt und von Anne bekocht wie in einem Luxusrestaurant. Ausserdem hatten wir seit Monaten wiedermal jeder ein eigenes Zimmer mit Klimaanlage und einem riesigen Bett.
Frühmorgens fuhren wir zu einer Mehlfabrik, wo ein Freund von Philippe arbeitet, um in der Werkstatt nach einem Inbus Nr. 11 zu suchen. Leider hatten sie nicht einmal in der riesigen, mit alten Schweizer Maschinen ausgestatteten Werkstatt einen solchen Schlüssel.
Die einzige Option war ein Nr. 12 Inbus zu nehmen und ihn auf die passende Grösse zu reduzieren. Nun konnten wir endlich den Freilauf weiter öffenen, aber merkten gleichzeitig, dass wir noch ein anderes Werkzeug benötigten. Ein Mitarbeiter der sogar schon in der Schweiz gearbeitet hatte, versprach uns er könne das Problem lösen und wir liessen das Rad bei ihm, da wir noch andere Dinge erledigen wollten.
Der Informatiker Paul, der für Philippes Firma arbeitet, half uns einen Occassion Computer aufzutreiben. Ein Freund von ihm zeigte uns mehrere Modelle und wir entschieden uns nach längerer Überprüfung für einen Lenovo. Der Verkäufer stellte zu unserer Überraschung sogar eine Quittung aus, damit wir bei Problemen zurückkommen konnten.
In der Zwischenzeit flickte Albert unseren Freilauf und präsentierte uns stolz das gereinigte und wieder einwandfrei funktionierende Teil. Er stellte ein spezifisches Werkzeug her, um an das Innere zu kommen, reinigte alles, ersetzte die Kügelchen und fettete die nötigen Stellen. Wir waren überglücklich und bedankten uns herzlich bei ihm und seinem Chef.
Frühmorgens fuhr uns Francis, einer der Fahrer von Philippes Arbeitgeber zum Busbahnhof und stellte sicher, dass wir einen Transport zurück ins Dorf finden. Fünf Stunden später, verschwitzt und mit schmerzenden Beinen und Hüften erreichten wir Lukula wieder. Die Fahrt war sehr unangenehm und wir sahen zum ersten Mal, wie vier Leute vorne Platz nehmen mussten. Sogar der Fahrer teilte seinen Sitz.
Wir packten unser Material zusammen und verabschiedeten uns von allen Mechanikern und der Familie vom Sektionschef. Die Schlammschlacht ging weiter und die schlechte Strasse schüttelte uns nochmals so richtig durch.
Auf der ersten Asphaltstrasse in diesem Land nach über zwei Wochen, kamen wir wieder effizienter vorwärts. Eigentlich wollten wir noch weiter fahren, aber plötzlich riss Adrians Schaltkabel und wir mussten einen Übernachtungsplatz suchen. In der Nähe hauste einen freundliche Familie und nahm uns direkt auf. Wir freuten uns sehr, dass wir zusammen mit der gesamten Familie essen konnten und die vielen interessanten Fragen der armen Dorfbewohner zu beantworten.
Nach ein paar Erinnerungsfotos mit der netten Familie und der notdürftigen Reparatur der Schaltung, verliessen wir das winzige Dorf in Richtung Matadi. Die vielen Hügel forderten uns und die unzähligen Rufe in den Dörfern gingen uns mit der Zeit auch ein wenig auf die Nerven. Wenigstens bettelten die Leute hier praktisch gar nicht.
Kurz vor der imposanten Brücke trafen wir einen einheimischen Fahrradfahrer, der auf dem Weg zur 120 km entfertnen Stadt Boma war. Er meinte es sei kein Problem für ihn in der Dunkelheit zu fahren. Wir dachten nur: „Lieber er als wir“ und erklammen den letzten Hügel, bevor wir die einzige Brücke in dieser Region über den Fluss Kongo überquerten. Die nächste Brücke befindet sich zirka 2800 km flussaufwärts. Nach einem weiteren langen und steilen Anstieg erreichten wir wieder das vertraute Heim von Anne und Philippe. Wie bereits die Tage zuvor wurden wir herzlich aufgenommen und kulinarisch von Anne verwöhnt.
Seit Monaten konnten wir unsere Kleider nicht mehr mit einer Waschmaschine waschen. Ebenfalls reinigten wir das Zelt, flickten die kaputten Stellen und ersetzten die Gummibänder in den Zeltstangen. Unsere Luftmatratzen, Schuhe, Trinkflaschen und Fahrradtaschen benötigten ebenfalls dringend eine Reinigung.
Während den letzten Tagen testeten wir den neu gekauften Laptop und stellten einige Probleme fest. Unter anderem war der Akku extrem schwach, das Bluetooth funktionierte nicht und das Betriebsystem war nur auf Französisch vorhanden. Der Verkäufer des Laptops versprach uns einen besseren Akku zu suchen. Die anderen Probleme waren nicht weiter tragisch und eher schwer zu lösen.
Am zweiten Tag in der Stadt versuchte der Informatker Paul den ganzen Tag den Computerhändler zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Wir hatten bereits das Gefühl, dass seine Motivation nicht gerade gross war uns zu helfen, da es sich schliesslich um seinen Freund handelte und er keinen Gewinn aus der Sache schlägt.
Leider konnten wir die viel zu komplexe Schaltung an Adrians Fahrrad nicht reparieren und suchten eine Alternativschaltung bei den Strassenhändler. Schnell fanden wir eine passende Schaltung und installierten diese unten am Lenker. So konnten wir ohne Probleme weiterfahren, da der Mechanismus sehr einfach aufgebaut ist und somit weniger anfällig für Defekte ist.
Der Besuch des Konsulats, um Informationen für das Angolavisum zu bekommen, stellte sich als gute Idee heraus. Anderen Reisende sagten, dass es acht Tage dauert, um dort das Visum zu bekommen. Eigentlich wollten wir das Visum online beantragen, da der Prozess schneller ist und weniger kompliziert. Leider konnte man die Grenze, die wir beabsichtigen zu überqueren, nicht auswählen und somit mussten wir eine Alternativlösung finden. Die freundliche Dame am Schalter meinte trotz allem, es dauere maximal drei Tage. Somit besorgten wir alle nötigen Farbkopien, füllten die Formulare mit Hilfe der Frau am Schalter aus und zahlten je 101 US-Dollar auf eine Bank ein. Die Organisation der Dollar war eher schwierig, so dass wir mehrere Bankomaten besuchten und nur mit unserer Visa-Karte Geld bekamen. In der Demokratischen Repulik Kongo ist der Dollar fast ebenso beliebt wie die lokale Währung und die Nachfrage aufgrund der steigenden Inflation überdurchschnittlich hoch. Bis jetzt gefielen uns die Banknoten der Demokratischen Republik Kongo am besten von allen 16 Währungen auf der Reise. Die traditionellen Sujets überzeugten uns von Anfang an.
Bereits bei unserem ersten Aufenthalt in Matadi beklagte sich Adrian über Malariasymptome und nahm die üblichen Tablette zu sich. Nach der erneuten Ankunft kamen die Symptome noch stärker zurück und er entschied sich für eine neue Behandlungsart. Es besteht nämlich auch die Möglichkeit einer Therapie per Infusion, welche anscheinend stärker sein soll. Ein unproffessioneller Assistenzarzt setze die Infusion. Dafür öffnete er die Ampullen mit den Zähnen und löste den Wirkstoff ungenügend in der Kochsalzlösung auf, bevor er die Injektion durchführte.
Danach wollte Adrian seine Rechnung im Spital bezahlen, was sich wie so oft schwieriger herausstellte als gedacht. Die netten, flirtenden Mitarbeiterinnen setzten Medikamente und Dienstleistungen auf die Rechnung, welche gar nicht beansprucht wurden. Ob es Absicht war ist nicht klar, aber generell meinen sowieso alle wir seien reich wegen unserer Hautfarbe.
Der erneute Besuch beim Konsulat daurte ebenfalls länger als erwartet, aber wir bekamen den positiven Bescheid, dass wir das Visum mit grosser Wahrscheinlichkeit am nächsten Tag abholen können.
Der Elektronikverkäufer schien bereits die letzten Tage kein Interesse zu zeigen an unserem Wunsch den schwachen Akku zu tauschen oder den Laptop komplett auszutauschen. Somit gaben wir auf und konnten ihm nach langer und energischer Diskussion nur 10 Dollar als Entschädigung abzwacken. Sobald die Kongolesen das Geld in der Tasche haben, interessiert sie überhaupt nichts mehr. Diese Aussage bestätigten mehrere Einheimische und dies war auch unsere Erfahrung in anderen Regionen.
Gut gestärkt verliessen wir den Luxus für ein weiteres Mal und bedankten uns beim netten Paar aus Frankreich, die uns beim Lösen unserer Probleme extrem behilflich waren. Trotz Wolken stieg die Temperatur bereits vor dem Mittag auf über 40 Grad und wir konnten gar nicht so viel trinken wie aus unseren Poren kam.
Da wir länger in der Demokratischen Republik Kongo blieben als gedacht, mussten wir in den nächsten Wochen noch mehr Kilometer fahren. Denn in Namibia wird uns Adrians Familie besuchen und darum sollten wir etwa zur gleichen Zeit in Windhoek ankommen.
Über hügliges Gelände fuhren wir durch viele Dörfer in welchen wieder alle Bewohner irgendetwas in unsere Richtung schrien. Bald erreichten wir die Abzweigung zur Grenze und kämpften uns über die steinige Piste und durch das chaotische Treiben im Grenzort. Tausende Leute verkauften ihre Waren in kleinen Blechhütten und lebten gleichzeitig darin. Man konnte den Boden vor lauter Abfall gar nicht mehr erkennen und es war so laut, dass wir uns ziemlich unwohl fühlten. Nach einer letzten Schlammpartie bekamen wir den Ausreisestempel und überquerten den Grenzfluss nach Angola.
Somit verliessen wir ein Land welches über 100 Jahre Krieg, Horror und Diktatur hinter sich hat und fast 60 Mal so gross ist wie die Schweiz. Uns reizte das Land von Beginn weg und wir wurden sehr positiv von den Einheimischen aufgenommen. Entgegen den Ängsten vieler unserer Bekannten, fühlten wir uns jederzeit sicher, denn der Westen des riesigen Landes wurde in den letzten Jahren von Turbulenzen verschont. Die meisten Leute mit denen wir gesprochen hatten, sahen vorher noch nie einen Weissen von Nahem und dies machte unzählige Begegnungen speziell für beide Seiten.