26. Januar – 3. Februar 2020:
Leider änderte sich der Zustand der schmaler werdenden Strasse und wir kamen nur noch im Schritttempo vorwärts. Die meisten Anstiege waren so steil, dass wir die Fahrräder schwitzend hochschieben mussten.
Im ersten Dorf der DRC (Demokratischen Republik Kongo) bekamen wir vom überforderten Polizisten den Einreisestempel. Er war so unqualifiziert, dass er nicht einmal das Visum für sein eigenes Land erkannte.
Wir wählten bewusst eine kleine Landesgrenze, da dort die Chance einer detaillierten Kontrolle der Dokumente kleiner ist. Somit kamen wir mit unserem semi-korrekten Visum aus Togo ins Land und freuten uns auf das kommende Abenteuer.
Die Piste wurde teilweise noch schlimmer und wir wurden so richtig durchgeschüttelt. Der Untergrund änderte sich stetig, aber ein harter, vom Regen ausgewaschener Teil blieb jeweils bestehen. Der Untergrund wies tiefe Rinnen auf und für uns war das Vorwärtskommen extrem anstrengend. Als ein Gewitter aufzog, fragten wir in einem Dorf, ob wir ein wenig pausieren dürften. Die Zuckerrohrschnaps-trinkenden Männer boten uns direkt an, die Nacht im Dorf zu verbringen. Die vielen Kinder des Dorfes waren extrem schüchtern und getrauten sich nur langsam sich uns anzunähern. Wir fragten ob die Dorfbewohner etwas zu essen für uns hätten und nachdem wir auf alle Fragen im Stile von: «Esst ihr das? » Mit «JA» antworteten, brachten sie uns verschiedene lokale Lebensmittel. Während unseres gesamten Aufenthalts wurden wir von 22 Kindern und einigen Erwachsenen ununterbrochen beobachtet bzw. angestarrt.
Die schwarzen Wolken zogen vorbei und wir wollten noch ein wenig weiterfahren. Beim nächsten Dorf dachten wir, dass wir es sicher noch bis zur nächsten Siedlung schaffen sollten. Leider machte uns ein extrem schlammiger und steiler Abschnitt einen Strich durch die Rechnung. Der klebrige Schlamm blockierte unsere Räder und wir mussten alle zwei Meter den Dreck zwischen Pneu und Schutzblech entfernen. So ging das eine Weile, bis wir uns entschieden das Zelt am Strassenrand aufzustellen und am nächsten Tag weiterzufahren. Aufgrund der mangelhaften Karte wussten wir nämlich nicht, wie weit es noch bis zum nächsten Dorf war.
Die Trinkwassersuche im nahegelegenen Fluss war erfolglos und wir mussten mit den wenigen Snacks und dem übriggebliebenen Wasser auskommen. Als es bereits dunkel war, sagte uns ein Motorradfahrer das nächste Dorf käme in etwa 2km. Immerhin war es nicht mehr weit bis zum Frühstück, dachten wir und legten uns schlafen.
Nachdem wir unsere Schutzbleche vorne abmontiert hatten, erreichten wir das vom Motorradfahrer erwähnte Dorf direkt nach einem Hügel. Die Dorfbewohner waren sehr erstaunt über unseren Besuch und freuten sich riesig. Anscheinend waren wir die ersten Touristen mit Fahrrad in ihrem Dorf und per Buschtelefon verbreitete sich unsere Ankunft. Alle Neugierigen wurden direkt nach ihrer Ankunft bei der grossen Menschenansammlung informiert, was die «Mindele» (Weissen) hier machten.
Uns wurde sofort ein Stuhl angeboten und wir fragten, ob wir Wasser und etwas zu essen bekommen könnten. Nach dem uns einer der freundlichen Männer fragte was wir denn essen, brachten uns verschiedene Frauen Erdnüsse, Safou (eine lokale Frucht) und gekochten Maniok.
Wieder mit genügend Energie ausgestattet, verabschiedeten wir uns von all den Kindern und Bauern, welche sogleich, ausgestattet mit Gewehren und Macheten, zu ihren Feldern liefen.
Während der Weiterfahrt über den spaltigen, felsigen Untergrund, machten wir Bekanntschaft mit einem jungen Mann, der nach elf Jahren in Deutschland zurück in sein Heimatland kam. In guten Deutsch tauschten wir uns kurz aus, bevor er seinem Lastwagen vollbeladen mit Nahrungsmittel hinterhereilen musste.
Nach einer steilen und steinigen Abfahrt erreichten wir endlich die erste Stadt. Im lebendigen Ort fragten wir bei der katholischen Mission, ob wir unser Zelt aufstellen konnten. Viele Reisende vor uns übernachteten bereits hier und darum wussten wir von diesem Plätzchen. Völlig erschöpft und fast um den Verstand geschüttelt stärkten wir uns und unterhielten uns mit den offenen und freundlichen Einheimischen auf den staubigen und löchrigen Strassen.
Zehn Stunden Schlaf benötigten wir, um wieder genügen Energie zu haben für den nächsten Tag. Immer noch mit leichten Kopfschmerzen erkundeten den Markt und kontrollierten die Preise verschiedener Referenzartikel, um ein Gefühl für das neue Land zu bekommen.
Trotz der extrem heissen Temperaturen, der hohen Luftfeuchtigkeit und den vielen Moskitos, konnten wir ein wenig entspannen und die Route für die kommenden Tage diskutieren. Wir fragten Lastwagenfahrer, Geschäftsmänner und andere Einheimische was sie zu unserer geplanten Route meinen. Wie immer sagten alle, dass die Strecke mit dem Fahrrad überhaupt kein Problem sei, denn mit dem Motorrad ginge es ja schliesslich auch. Anscheinend war der Zustand ähnlich wie auf der Strasse wo wir herkamen, nur noch hügliger. Die andere Alternative war die Überquerung des Kongo Flusses und danach wäre die Distanz zur Angolanischen Grenze nicht mehr weit. Da wir über genügend Zeit verfügten, wollten wir den Umweg riskieren und im schlimmsten Fall wieder umkehren.
Die Internetsuche bzw. der Kauf von mobilen Daten stellte sich als Mammutprojekt heraus und schafften es während unserem Pausentag leider nicht. Dafür probierten wir alle möglichen Restaurants aus und wechselten Geld in die lokale Währung.
Trotz Warnungen von verschiedenen Leuten, setzten wir unsere Reise auf der «Route Nationale 12» fort. Der Name der Strasse verspricht viel, aber nach zwei Tagen auf dieser Strasse direkt nach der Einreise, setzen wir unsere Erwartungen auf ein Minimum.
Die ersten 15 km kamen wir gut vorwärts und die Piste schien sogar kürzlich präpariert worden zu sein. Ein wenig weiter sahen wir zwei Lastwagen im Schlamm stehen und wir wussten, dass es jetzt richtig losgehen würde. Der eine mit Maniok vollbeladene Lastwagen versuchte den anderen herauszuziehen, während ein paar Jungs mit Pickel und Händen versuchten die Reifen frei zu kriegen. Es erstaunt uns immer wieder wie gut gelaunt und unbesorgt diese Männer jeweils sind, obwohl diese seit über vier Tagen unterwegs waren.
Die nächsten paar Kilometer mussten wir die Fahrräder grösstenteils schieben und bereits kamen die ersten Gedanken ans Umdrehen. Der Strassenzustand änderte sich jedoch fortlaufend und darum gaben wir die Hoffnung noch nicht auf. Plötzlich kam ein Landcruiser entgegen und ein Italiener meinte wir seien mutig, denn die Strecke vor uns wäre noch viel schlimmer. Als Motivation gab uns der für ein Landwirtschaftsprojekt angestellte Venezianer ein paar Kekse.
Tatsächlich wurden die Schlammlöcher noch tiefer und bald versperrte ein Fluss die Strasse. Bis zu den Oberschenkeln reichte das Wasser und wir mussten in mehreren Schritten unser Gepäck und die Fahrräder hinübertragen.
Schlussendlich schafften wir es in ein Dorf mit einer riesigen Kirche. Man schickte uns zu der katholischen Mission, wo wir unser Zelt aufstellen konnten und eine Frau nach einer komplizierten Verhandlung ein köstliches Abendessen präparierte. Die Köchin war überglücklich, dass wir ihr Essen in rauen Mengen verschlangen und dies sogar ohne Besteck.
In der Nacht zog ein Gewitter auf und es regnete bis am Morgen. Wir ahnten bereits wieder Böses für die bevorstehende Strecke und waren darum nicht besonders motiviert aufzustehen. Mindestens hundert Kinder beobachteten uns während wir das nasse Zelt zusammenpackten. Die Lehrer waren aufgrund des Regens noch nicht in der Schule angekommen, darum waren wir die beste Attraktion.
Wir kamen nicht weit, bevor wir schon wieder im Schlamm steckenblieben und dutzende Male unsere Fahrräder vom Schlamm befreien mussten. Der Sand und die aufgeweichte Erde bildeten eine klebrige Masse, welche überall hängen blieb. Wenigstens half die starke Sonne die Piste etwas zu trocknen.
Ein Englischlehrer in einem Dorf half uns etwas zu essen aufzutreiben. Leider konnte er nur ein paar Wörter Englisch und bestätigte einmal mehr die minderwertige Bildung, welche die Schüler auf dem Land bekommen.
Danach ging es auf einem schmalen Pfad einen Berg hoch. Teilweise fragten wir uns, ob es überhaupt möglich wäre mit einem Lastwagen oder Allradfahrzeug diese Strecke zu fahren. Oben angekommen, empfing und der freundliche Dorfchef und wir unterhielten uns mit den Dorfbewohnern. Der kräftige Wind liess uns seit langem wiedermal unsere Pullover aus den Taschen hervorsuchen. Nach einem gemeinsamen Nachtessen, welches ähnlich aussah wie das Mittagessen, liessen wir das Dorf in Ruhe.
Der Untergrund wurde nicht wirklich besser, aber wir kamen trotzdem etwas schneller vorwärts als am Vortag. Mit durchschnittlich 10km/h pedalten wir durch die hüglige Gegend. Wie die letzten Tage üblich, mussten wir stellenweise schieben, da wir uns beispielsweise durch ein Bachbett, einen Mini-Canyon oder einen Teich kämpfen mussten.
Mehrheitlich fuhren wir im Wald und hörten viele interessante Geräusche aus dem Dickicht. Immer wieder kamen kleine Dörfer wo wir die erstaunten Leute freundlich grüssten. Jedes Mal, wenn wir anhielten, um Wasser zu füllen oder nach dem nächsten Dorf zu fragen, ging es keine zwei Minuten und wir waren von mindestens 20-50 Kindern umzingelt. Keine der Kinder hatten je weisse Menschen gesehen und waren verständlicherweise extrem neugierig.
In einem grösseren Dorf fanden wir sogar ein Restaurant und versuchten trotz der ultralauten Musik zu bestellen. Gestärkt wollten wir noch etwas weiterfahren, aber der einsetzende Regen machte dieses Unterfangen zu einer regelrechten Rutschpartie und wir mussten aufgeben.
Zum Glück regnete es nicht die ganze Nacht und morgens war die Piste anstatt rutschig eher klebrig. Über mehrere Hügel kamen wir gut vorwärts und kamen unserem Zwischenziel immer näher. Unterwegs hielten wir mehrmals in kleinen Dörfern an, um ein paar Bananen zu essen oder unsere Wasserreserven aufzufüllen.
Überall winkten uns die Leute hocherfreut zu und riefen uns irgendetwas nach. Wir konnten uns unmöglich mit allen Leuten unterhalten, was irgendwie schade war, da wir die Neugierigkeit förmlich spürten.
Nach einer steinigen, langen Abfahrt kamen wir nach 200km in mehrheitlich kleinen Dörfern in der ersten Stadt an. Es gab sogar fliessend Strom und wir durften bei der Polizeistation übernachten. Nach einem Bad im relativ braunen, reissenden Bach, kontrollierte der Immigrationsverantwortliche unsere Pässe. Er hatte seine Mühe, da er ohne Brille praktisch blind war und so zog sich diese Überprüfung unnötig in die Länge.
Unsere Beine waren richtig schwer und definitiv müde von den letzten Tagen. Viele Geschäfte und Restaurants waren in der Kleinstadt aufgrund des Sonntags geschlossen und wir fanden nur mit Mühe eine offene Küche. Auf dem Markt grüssten uns wie üblich in dieser Region viele Frauen mit « bonjour Papa » und wir grüsste mit einem grossen Lachen zurück « bonjour Mama ».
Neben der Polizeistation bekamen die Lehrer ihren Monatslohn ausbezahlt und standen stundenlange in der Sonne in einer Schlange. Jeden Monat müssen die unterbezahlten Lehrkräfte hier ihren Lohn abholen.
Ein Computerspezialist aus Kinshasa half uns mit dem Kauf von Daten, damit wir im Internet surfen konnten. Danach lud er uns grosszügigerweise zu sich nach Hause zum Abendessen ein und erzählte uns von seinen unglaublich harten Zeiten im Militär während des Krieges. Sein Atelier war typisch Afrikanisch und wir konnten uns ein Lachen nicht verkneifen.
Seit wir in der Demokratischen Republik Kongo sind, hat sich die lokale Sprache wiedermal verändert und klingt ähnlich zu Portugiesisch. Die Einheimischen haben uns sogar bestätigt, dass sie ein wenig Portugiesisch verstehen und der Einfluss von Angola der Hauptgrund ist.
Immer wieder versuchen wir den verängstigten Kindern die Hand zu geben, um mit ihnen zu interagieren. Meistens getraut sich ein Kind und danach nähern sich die anderen und überwinden ihre enorme Angst. Ab und zu schauen die Kleinsten danach ihre Hand an, um zu sehen ob wir „abfärben“. Diese Momente sind köstlich und die Einheimischen wie auch wir lachen uns jeweils fast krumm.
Überall in dieser Region gehen die Dorfbewohner extrem weite Strecken jeden Tag. Meistens marschieren sie zum Feld oder wieder zurück ins Dorf, gehen Wasser holen oder verkaufen in den nahegelegenen Dörfern irgendwelche Produkte. Wir haben Leute angetroffen, welche täglich locker 20-40 Kilometer gehen und dies mit abgenutzten Badesandalen.