21. Juni 2019 – 1. Juli 2019:
Bis wir bereit waren loszufahren, lebte der kleine Grenzort bereits und überall liefen Frauen mit irgendwelchen Gebäcken auf dem Kopf herum. Ausserdem waren einige überladene Autos und Motorräder vor Ort und die Passagiere diskutierten wild gestikulierend über irgendwelche Preise.
Um die Ausreise erfolgreich hinter uns zu bringen, mussten wir in drei verschiedene Büros gehen und fast die genau gleichen Fragen innerhalb von einer halben Stunde dreimal beantworten. Schlussendlich überquerten wir den Grenzfluss und erwarteten gespannt die ersten Eindrücke in Liberia.
Der erste Befehl der Uniformierten war, dass wir unsere Hände mit kaltem Wasser aus einem Behälter waschen. Ohne Seife versteht sich! Somit komplett keimfrei durften wir wieder an vier verschiedenen Orten vorbei, um unseren Einreisestempel zu erhalten. Das Verhalten der Verantwortlichen, ihre Uniform und die Flagge Liberias erinnert stark an die USA. Später werden wir mehr auf diese interessanten aus der Geschichte des Landes entstandenen Hintergründe eingehen.
Mehrere starke Regengüsse warteten wir in verschiedenen Unterständen ab, um danach bei schwachem Regen weiterzufahren. Schnell bemerkten wir, dass die Liberianer generell eher zurückhaltender waren, als die Leute in den letzten Wochen im Nachbarland. Eine Familie gab uns ein wenig zögernd einen Raum in ihrem bescheidenen Haus, damit wir wenigstens in der Nacht dem starken Regen nicht ausgesetzt waren.
Die Landschaft hat sich nicht gross verändert seit der Grenze, ausser dass es vermehrt grössere Palmölplantagen hatte. Aufgrund einer Fehlüberlegung waren wir nicht mehr weit entfernt von der Hauptstadt und hatten somit unserem Couchsurfing Gastgeber Emmanuel noch nicht Bescheid gegeben. Zum Glück nahm er unsere Nachricht mit afrikanischer Gelassenheit und meinte es sei kein Problem.
Emmanuel und sein Lehrerkollege liefen mit uns zum Haus und beide probierten mehr oder weniger erfolgreich mit unseren beladenen Fahrrädern zu fahren. Die Nichte Emmanuels kochte sogleich für uns und wir wurden innerhalb weniger Minuten von allen Bewohner des Hauses ins Herz geschlossen.
Zwei Chinesinnen kamen nach uns an und wir lernten die beiden am Morgen danach kennen. Bereits seit acht Monaten sind die beiden, die sich zufällig während der Reise kennengelernt hatten, unterwegs. Ausgestattet mit Primarschulenglisch und nichtexistenten Französischkenntnissen kamen sie erstaunlicherweise gut zurecht.
Trotz nicht übertrieben langen Tagen waren wir beide extrem müde uns schliefen die nächsten Tage viel, bis wir uns wieder fit fühlten. Leider haben die meisten Männer in Afrika keinen fixen Job und lungern darum ganze Tage vor dem Haus und diskutieren über was alles möglich wäre mit Geld oder einem Ticket nach Europa. In Europa herrscht das Denken, dass Afrikaner per se faul wären, was wir nun nach bereits sechs Monaten definitiv verneinen können. Emmanuel zum Beispiel arbeitet an drei verschiedenen Schulen als Lehrer und besucht gleichzeitig noch Vorlesungen, um seinen Masterabschluss zu bekommen. Kürzlich haben sie ihm ohne Vorwarnung den Lohn nicht mehr ausbezahlt. Trotzdem arbeitet er weiter, da er nicht will, dass die Kinder eine schlechte Schulbildung erhalten.
Von Anfang an meinte er, dass er seinen Gästen ausgewogene Kost anbietet, aber momentan reiche sein Geld nicht dafür aus. Natürlich wollten wir sowieso für unser Essen selber aufkommen. Ausserdem sind wir uns gewohnt ab und zu drei Mal täglich Reis ohne Fleisch zu essen.
Nach einigen Tagen verabschiedeten wir uns von Emmanuel und seiner Familie und nahmen die über 20 km in das Stadtzentrum in den Angriff. Die Fahrt ins Zentrum der mit knapp einer Million Einwohner grössten Stadt des Landes war kein Zuckerschlecken. Die gelb bemalten «kekeh» (Dreiradtaxi auch bekannt als «tuk-tuk») düsten hupend an uns vorbei und gleichzeitig mussten wir auf die vielen Leute und die Löcher im Belag Ausschau halten.
Bevor Tom uns empfing, assen wir in einer der vielen Garküchen eines der lokalen Reisgerichte. Tom, ein Belgier der in der Hauptstadt der einzige Warmshowers Gastgeber ist, wohnt direkt hinter einer schmuddeligen, mit spärlichen Bauten geprägten Siedlung in der Nähe des Strandes. Im Gegensatz ist sein Wohnkomplex mit einem Schwimmbecken, Sicherheitsleuten und einer riesigen Mauer ausgestattet. Während unseres Aufenthalts genossen wir die Ruhe, unser Bett, die warme Dusche und die Möglichkeit unsere Kleider zu waschen. Bei der aktuellen Luftfeuchtigkeit von über 90% trocknet fast nichts mehr und man muss aufpassen, dass nicht die gesamte Ausrüstung schimmelt.
Das Ducor Hotel galt bei seiner Eröffnung im Jahre 1967 als eines der vornehmsten Hotels Westafrikas. Das Hotel wurde seinerzeit von dem Lybischen Staatsmann Gaddafi gebaut. Das Hotel musste kurz vor der Entfachung des Bürgerkriegs geschlossen werden und wird seither nicht mehr benutzt. Als wir auf einem kleinen Pfad das Gelände auf dem höchsten Punkt der Stadt betreten wollten, pfiffen uns zwei Sicherheitsleute zurück und wollten Geld für die Besichtigung. Wir waren amüsiert, dass es überhaupt Sicherheitsleute für ein so heruntergekommenes Gebäude gibt und man auch noch Geld dafür bezahlen soll. Später erfuhren wir von älteren Stadtbewohnern, dass die Sicherheitsleute verantwortlich wären, dass niemand Eisen aus dem Hotelkomplex stehle. Ausserdem haben die Amerikaner aus strategischen Gründen (die amerikanische Botschaft ist direkt unterhalb des Hügels) alle Renovations- bzw. Verkaufsversuche mit jährlichen Investitionen an die Regierung verhindert.
Schlussendlich schlichen wir auf einem Umweg von hinten an das Gebäude und mussten extrem vorsichtig sein nicht auf die vielen gebrauchten Windeln und Scheisshaufen zu stehen. Die Umgebung des Hotels wird als Quartiersklo und für die Entsorgung von Abfall missbraucht. Zum Glück konnten wir uns bis aufs Dach schleichen, ohne dass uns jemand sah. Diese adrenalinaussschüttende Aktion wird uns sicher noch einige Zeit in Erinnerung bleiben.
Vom Hotel hatten wir einen wunderbaren Blick auf die Stadt und den Stadtteil West Point, welcher von ungefähr 75’000 Leuten bewohnt wird und dadurch völlig überbevölkert ist. Das grösste Problem ist, dass alle diese Leute ihr Geschäft am einst wunderschönen Strand verrichten, da es angeblich gerade mal 4! öffentliche Toiletten für alle diese Leute gibt. Ausserdem versuchen sich die Bewohner mit Prostitution und Drogenverkauf über Wasser zu halten, welches das mit allen möglichen Krankheiten geplagte Armenviertel zusätzlich belastet.
Selbst im Stadtzentrum sieht man Leute überall urinieren, da es leider keine andere Möglichkeit gibt. Bei einem starken Regenfall, wie sie in der Regenzeit häufig sind, überfluten ganze Quartiere, da der viele herumliegende Abfall alle Abflüsse verstopft. Während einem Wiedertreffen mit Nico, der erfreulicherweise nach der Malariaerkrankung wieder gesund war, sassen wir aufgrund des starken Regens und der gefluteten Strassen in einem Restaurant für einige Stunden fest.
Direkt nach der Ankunft bei Emmanuel bekam Fabian wieder Fieber und der Malaria Schnelltest deutete auf eine erneute Infektion hin. Bereits nach 24 Stunden fühlte er sich besser. Allerdings zeigte ein erneuter Test ein paar Tage später, dass die Infektion noch nicht ganz weg war und darum wurde eine erneute Dosis Antimalaria Medikamente zusammen mit Multivitamintabletten empfohlen. Da wir seit über einem halben Jahr bereits das wahrscheinlich nicht immer saubere afrikanische «Hahnenwasser» trinken, entschieden wir uns eine Entwurmungsmittel zu kaufen, damit alle potenziellen Faden- und Bandwürmer in unseren Körpern verenden.