28. März – 4. April 2020:
Somit befanden wir uns nun im Norden des Landes und unsere Fahrräder im abgeriegelten Windhuk. Unser Ziel musste sein, eine Bleibe zu finden für die nächsten Tage, Wochen oder sogar Monate. Die Abriegelung der zwei Regionen inklusive der Hauptstadt war eher kontraproduktiv, da diese einige Tage vorher bereits angekündigt wurde. Am Abend vor der Abschottung flüchteten Tausende Leute aus der Hauptstadt in alle Teile des Landes und verbreiteten somit potenziell den Virus.
Über Kontakte in Namibia kamen wir an die private Nummer vom Schweizer Konsul in Windhuk. Wir riefen ihn an, um zu schauen, was die momentane Ausgangslage war. Der Konsul Urs Gamma war sehr ruhig und meinte er sei froh, wenn es uns gut gehe im Norden des Landes und wir sollten momentan dortbleiben.
Inzwischen startete die Rückholaktion der Deutschen und es wurden die ersten Touristen zurück nach Deutschland geflogen. Anscheinend waren noch über 1500 Deutsche und 50 Schweizer in Namibia. Für die Schweiz lohnte es sich nicht, ein Flugzeug zu organisieren für die kleine Anzahl Staatsbürger, darum gab es eine Kooperation mit Deutschland.
Nach drei Nächten im Zelt auf dem schönen Campingplatz, half uns Nigel vom Fahrradprojekt, den Manager des Resorts und somit auch des Campingplatzes zu fragen, ob wir in ein Appartement wechseln konnten. Wir wollten nicht für eine unbestimmte Zeit im Zelt schlafen und ohne Küche, Stühle etc. auskommen. Das Schweizer Paar Regine und Walter bekamen für den Preis des Campings eine wunderschöne, topmoderne Wohnung und wir wollten fragen, ob wir diese Wohnung mit ihnen teilen konnten. Nigel, mit seinem gigantischen Netzwerk in Namibia, verwirklichte unseren Wunsch und wir konnten noch am selben Tag in das zusätzliche Zimmer der Wohnung einziehen. Bereits die Tage zuvor verbrachten wir viel Zeit in dieser Wohnung, um mit Walter und Regina zu plaudern, zu kochen oder einfach nur auf dem Sofa zu entspannen. Somit bildeten wir eine Schweizer Wohngemeinschaft und wir waren alle glücklich über diese langfristige Lösung. Endlich hatten wir eine Bleibe für längere Zeit gefunden und konnten zur Ruhe kommen.
Leider kam wieder alles anders und eine Frau rief Adrian über WhatsApp von der Nummer des Schweizer Konsuls an. Petra Illing, die Koordinatorin der Rückholaktion der gestrandeten Schweizer in Namibia, war völlig ausser sich und machte Adrian einige Minuten völlig zur Schnecke! Sie meinte, der Urlaub sei vorbei und wir sollten sofort nach Windhuk fahren. Nicht einmal der Grund ihres Anrufs war klar nach fünf Minuten Gespräch. Beim dritten Telefonat beruhigte sich die offensichtlich überforderte und unfreundliche Frau und wir erfuhren, dass Schweizer nach Hause geflogen werden. Man gab uns ein paar Stunden Zeit, um uns zu entscheiden, ob wir nach Hause wollten oder eventuell für eine lange Zeit in Namibia festsitzen wollten.
Sofort wurde die Ruhe in der erst gerade bezogenen Wohnung unterbrochen und wir diskutierten gemeinsam über unsere Situation und welche Entscheidung mehr Sinn machte. Für Walter und Regina war klar, dass sie so schnell wie möglich nach Hause wollten. Für uns war es weniger klar und wir wurden durch diesen Anruf völlig überrumpelt, da wir eigentlich von einem langen Aufenthalt in Namibia ausgegangen sind.
Nach längerer Diskussion entschieden wir uns auch für die Heimreise, da wir nicht wussten wie lange diese Krise andauern wird und wie sich die Ausgangslage in einem Drittweltland wie Namibia entwickeln würde. Ausserdem sah es in Südafrika, wo eine strikte Ausgangssperre herrschte, noch viel düsterer aus. Südafrika war unser nächstes Land auf der Route und dadurch stimmte uns dies nicht gerade zuversichtlich.
Eine Hautinfektion an Adrians Bein entzündete sich in den letzten Tagen und er bekam Fieber und nahm Antibiotika. Aus diesem Grund wollten wir nur durch die Kontrollposten vor Windhuk fahren, falls das Fieber komplett weg war und Adrian sich reisetauglich fühlte. Ein zweiwöchiger Aufenthalt in einer Quarantäne war definitiv nicht auf unserer «to do» Liste.
Nach einer unruhigen Nacht und dem kurzfristigen Einpacken, versuchte Adrian frühmorgens noch Fieber zu messen, um sicher zu gehen, dass es keine Komplikationen geben würde auf der Reise in die Hauptstadt. Die Suche nach einem Fiebermesser war vergeblich, aber er fühlte sich genügend fit, um die Reise anzutreten. Dies teilten wir auch Petra Illing und Urs Gamma mit und bekamen grünes Licht für die Fahrt.
Mit einem schlechten Gewissen verliessen wir das Resort Kupferquelle wieder und konnten nicht einmal von der Grosszügigkeit des Besitzers profitieren, da wir erst eine Nacht im Luxusappartement verbringen konnten.
Die 430km bis zur Hauptstadt durften wir mit Regine und Walter in ihrem eher kleinen Wohnmobil mitfahren. Der komplette öffentliche Verkehr in Richtung der Hauptstadt war nicht mehr aktiv und somit wäre es schwierig geworden, überhaupt ein Transportmittel zu finden. Somit luden wir das gesamte Gepäck in den hinteren Teil des Fahrzeugs und wir nahmen auf der Rückbank platz. Eigentlich dürfte dort niemand sitzen, aber wir entschieden, in dieser Notsituation eine Ausnahme zu machen.
Ohne Verkehr fuhr Walter routiniert mit etwa 90km/h südlich und vergewisserte sich ab und zu ob wir uns wohlfühlten in ihrem Zuhause der letzten Wochen. Während der Fahrt waren wir in Kontakt mit Petra und Urs, damit wir uns alle am Kontrollpunkt treffen konnten. Es kam noch eine andere Reisegruppe dazu, welche mit uns über diese «Grenze» gebracht werden musste.
Am Kontrollpunkt hatte das Militär bereits Zelte aufgestellt und dieses Bild erinnerte uns an die vielen Strassenblockaden in Nigeria. Die Männer in Uniform schienen nicht sehr motiviert und standen in grösseren Gruppen im Schatten, mit ihren Sturmgewehren in der Hand. Natürlich wurde der vorgeschriebene Abstand nicht eingehalten und die Schutzmasken wurden vielfach locker um den Hals getragen.
Während dem Anstehen zur Kontrolle fragten wir, wie es weiter gehe und ob wir bereits an nächsten Tag einen Platz im Flugzeug bekämen. Urs Gamma teilte uns mit, dass das morgige Flugzeug bereits voll wäre und noch nicht klar sei, wann die nächsten Flugzeuge nach Europa fliegen. Enttäuscht über diese Information, legten wir die letzten Kilometer bis in die Stadt zurück.
Alle gestrandeten Schweizer wurden in einem teuren Hotel untergebracht. Uns waren die Preise der Zimmer zu hoch und wir suchten uns eine viel günstigere Alternative. Wir fanden ein schönes Zimmer mit geteilter Küche und Garten unweit des Hotels.
Wir hatten noch keine Aussicht auf einen Rückflug und darum nahmen wir die Situation gelassen und holten am ersten Tag in Windhuk unsere Fahrräder bei der Autovermietung ab. Ausserdem half uns Nigel Fahrradkartons zu organisieren in einem Outdoorladen, um die Fahrräder für den Transport bereit zu machen.
Schliesslich erfuhren wir, dass drei weitere Flüge bewilligt wurden und wir bereits beim ersten auf der Warteliste waren. Am Abend gab es die neusten Informationen im Hotel, wo alle Schweizer logierten. Dort konnten wir es zusammen mit Petra Illing und Urs Gamma so koordinieren, dass wir Regine und Walter den Vortritt gaben, damit wir noch einen Tag länger Zeit hatten, unsere Fahrräder einzupacken. Ausserdem war unsere Hoffnung, nicht mehr auf der Warteliste zu sein, sondern einen fixen Platz im Flugzeug zu bekommen für den nächsten Flug. Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, mit den Fahrrädern und dem Gepäck an den Flughafen zu fahren und danach wieder zurück, wenn es keinen Platz im Flieger gab. Denn genau dies war die Ausgangslage, wenn man sich auf der Warteliste befand.
Im Hotel lernten wir andere Schweizer kennen, welche seit einigen Wochen in Namibia unterwegs waren und wir tauschten unsere Erfahrungen und Geschichten aus. Drei Männer aus der Zentralschweiz waren in Südafrika gestartet und nach Namibia geradelt. Wir hatten unterhaltsame Gespräche und machten das Beste aus der unangenehmen Ausgangslage.
Am Tag darauf packten wir unsere Taschen und Fabian packte sein Fahrrad in den viel zu kleinen Karton. Diese Operation dauerte gut zwei Stunden und er war sichtlich erleichtert als er den Karton mit Klebeband zuklebte. Unterdessen fand Adrian heraus, dass es keine Rolle spielte, wie viele Gepäckstücke man hatte und wie schwer diese waren. Ausserdem gab es am Flughafen eine Verpackungsstation, wo man auch Fahrräder mit Plastik einwickeln konnte. Somit plante Adrian sein Fahrrad mit an den Flughaben zu nehmen, so wie es war, um es dort für den Flug zu verpacken.
Im zweitletzten Flug fanden wir einen definitiven Platz und man versicherte uns, dass die Fahrräder ohne Probleme mitgeführt werden können. Somit informierten wir unsere Familien und diskutierten, wo wir denn überhaupt wohnen werden nach der Heimreise. Wir waren uns zuerst nicht sicher, ob es Sinn machte bei unseren Eltern einzuziehen oder uns sonst irgendwo zu isolieren für einige Tage. Für ein paar Stunden liefen die Drähte heiss und alle möglichen Optionen wurden abgewogen und abgeklärt. Schlussendlich entschied sich Fabian vorerst zu seiner Schwester Nadine auf den Bauernhof zu gehen. Adrian machte mit seinen Eltern aus, bei ihnen zu wohnen für eine Weile, da sie sowieso bei der täglichen Arbeit exponiert sind und somit einem relativ grossen Risiko ausgesetzt sind.
Wir konnten einen Transport organisieren, der uns frühmorgens bei unserer Unterkunft abholte und in etwa 30 Minuten zum Flughafen brachte. Der Flughafen war praktisch leer und schien, als wäre er geschlossen. Während dem Anstehen zum Einchecken, packte Adrian sein Fahrrad mit Plastikfolie und Karton ein. Ein Mitarbeiter, der sonst eine ganz andere Tätigkeit ausübte, half ihm und verdiente sich ein paar zusätzliche Dollar.
Es war ein wenig skurril, denn alle Leute um uns herum warteten auf denselben Flieger und die Stimmung war viel entspannter als wir es erwartet hätten. Fast niemand trug Schutzmasken und der Abstand wurde bzw. konnte auch nicht eingehalten werden.
Beim Einchecken witzelte Adrian und fragte, ob wir erste Klasse fliegen. Der gut aufgelegte Mitarbeiter meinte, wir könnten leider nur Businessclass fliegen. Alle um uns lachten und für uns fühlte sich das fast wie eine Belohnung an, da wir bis jetzt bewusst ganz ohne Luxus auskamen. Uns erstaunte die lockere Stimmung der Einheimischen am Flughafen, denn alle werden voraussichtlich ihren Job in den nächsten Tagen, zumindest für eine Weile, verlieren und ohne Geld dastehen.
Kaum in der ersten Klasse platzgenommen, wurde Adrian nach hinten versetzt, da ihm versehentlich der Sitzplatz des Bordingenieurs zugeteilt wurde. Adrian akzeptierte die Degradierung unter der Voraussetzung, dass er sein Essenspaket mitnehmen durfte. Es gab aufgrund der ausserordentlichen Lage keine Bedienung im Flugzeug und jeder Passagier bekam eine Snackbox und eine Flasche Wasser, um den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren.
Nach der Landung konnten die Passagiere schrittweise aussteigen, um grosse Menschenansammlungen zu vermeiden. Diese Aktion misslang und bereits bei der ersten Rolltreppe trafen sich die meisten Passagiere wieder. Bei der Passkontrolle konnte Adrian ohne Probleme passieren. Bei Fabian meinten die Beamten, er müsse in der Transitzone warten, denn es wäre nur erlaubt am selben Tag der Ankunft das Land wieder zu verlassen und es fuhren keine Züge mehr in die Schweiz. Schlussendlich durfte er und weitere Schweizer trotzdem passieren und wir holten unser Gepäck ab. Wie wir bereits nach dem verspäteten Abflug ahnten, mussten wir eine Nacht im Flughafen verbringen. Somit suchten wir uns eine ruhige, dunkle Ecke und machten es uns mit Matte und Schlafsack bequem.
Am Schalter der Deutschen Bahn erkundeten wir uns über die schnellste Verbindung in die Schweiz. Bereits am Vortag erfuhren wir, dass ein Güterzug auf der Strecke um Freiburg im Breisgau entgleiste und somit diese Strecke für mehrere Tage ausser Betrieb war. Somit war die effizienteste Verbindung für uns über Offenburg und Schwarzwald bis nach Konstanz. Von dort mussten wir nochmals umsteigen, um die Grenze mit der S-Bahn in die Schweiz zu überqueren. Über Basel hätten wir sechsmal umsteigen müssen und darum kam diese Route mit den Fahrrädern nicht in Frage.
Am Bahnhof in Frankfurt lernten wir noch vier andere Schweizer Reisende kennen, welche in Bolivien unterwegs waren. Die zwei Paare waren bereits seit vier Tagen unterwegs und froh, bald einmal zu Hause anzukommen.
Ausgestattet mit Snacks und Bier brachten wir die kurzweilige Zugfahrt hinter uns. Besonders die Schwarzwaldregion gefiel uns sehr und ein Einheimischer gab uns einige Informationen. In Deutschland kontrolliert momentan niemand mehr die Tickets, aber trotzdem waren die Züge mehrheitlich leer.
Das Umsteigen von Konstanz nach Kreuzlingen lohnte sich kaum, da es nur eine Station war und die Distanz etwa nur einen Kilometer lang war. Glücklich und sichtlich erleichtert empfing uns Adrians Mutter Rita am Bahnhof. Somit befanden wir uns wieder in der Heimat und sofort versuchten wir Unterschiede festzustellen während der Heimfahrt.
Interessanterweise wurden wir weder am Flughafen in Windhuk, Frankfurt oder an der Grenze in die Schweiz kontrolliert oder nach unserem Befinden befragt. Wir erwarteten Fiebermessungen und Befragungen und eventuell längere Wartezeiten. Nichts war der Fall und wir mussten unsere Passierscheine von der Schweizer Botschaft nicht einmal aus dem Gepäck kramen.
Anstatt nach Buchrain zu fahren, wurden wir in Römerswil bei Fabians Schwester von einem kleinen Empfangskomitee überrascht. Wir genossen leckere Grilladen und die Gemeinsamkeit unter Berücksichtigung der empfohlenen Distanz, bevor sich unsere Wege seit langem für das erste Mal trennten.
Unsere Zeit in Namibia war definitiv ereignisreich und wird uns für immer in Erinnerung bleiben. Das Highlight war sicher der Besuch des Etosha Nationalparks als fast einzige Touristen. Ausserdem genossen wir den Luxus der Lodges, welchen wir auf der gesamten Reise nur selten hatten. Leider konnten wir die namibische Erfahrung nicht mit Adrians Familie teilen, aber dies muss nicht heissen, dass dies nicht noch geschehen kann…
Unser Ziel ist es definitiv, die Reise bei Gelegenheit fortzusetzen und abzuschliessen. Niemand weiss wie lange das noch gehen wird bzw. in welchem Zustand sich Namibia und Südafrika nach diesem geschichtsträchtigen Ereignis befinden werden.
Auf jeden Fall hoffen wir, dass du uns treu bleibst und wir werden dich sicherlich weiterhin auf dem Laufenden halten bezüglich unserer Pläne und der Situation im südlichen Afrika.